Lehrer:innenmangel: Warum diese Lehrkräfte ihren Job trotzdem lieben
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- 28. Februar 2023
In Deutschland gibt es zu wenig Lehrer:innen. Dieses Problem ist nicht erst seit gestern bekannt. Auch bringt der Beruf so einige Herausforderungen mit sich. Warum Lehrer:in trotzdem zu den erfülltesten Jobs überhaupt zählt und was gegen den Lehrkräftemangel getan werden kann – change erklärt's.
Offiziellen Berechnungen zufolge könnten deutschlandweit bis 2035 mehr als 80.000 Lehrkräfte fehlen. change schaut sich an, welche Lösungen es für dieses Problem gibt, und sprach mit Lehrer:innen darüber, warum sie ihren Job trotz aller Herausforderungen klasse finden.
Gründe für den Lehrer:innenmangel
Die Gründe für den Mangel an Lehrkräften sind vielfältig. Zum einen gibt es aufgrund der hohen Geburtenrate in den vergangenen Jahren immer mehr Schüler:innen. Hinzu kommen die Kinder Geflüchteter. 2022 gab es so viele Schulanfänger:innen wie seit 17 Jahren nicht mehr. Zwar ist an deutschen Universitäten derzeit ein Allzeithoch an Lehramtsstudierenden zu verzeichnen, gleichzeitig gehen jedoch zahlreiche ältere Jahrgänge demnächst in Rente, die besonders in Ostdeutschlands Schulen große Lücken in die Kollegien reißen werden. Besonders schlimm ist die Situation in Sachsen-Anhalt: Dort fehlen schon heute über 930 Lehrkräfte.
Keine Lehrkräfte mehr – was nun?
Um den Lehrer:innenmangel zu bekämpfen, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Einer davon ist, den Beruf attraktiver zu machen und so mehr junge Menschen für den Bildungssektor zu gewinnen. Ein weiterer Ansatz ist, die Bedingungen für Lehrer:innen zu verbessern, indem man beispielsweise Entwicklungspfade ermöglicht, Teamarbeit stärkt und Unterstützung anbietet. Auch das Lehramtsstudium soll reformiert werden – hin zu mehr Praxisausbildung und besserer Beratung für die Studierenden.
Quereinsteiger:innen: Die Rettung?
Eine weitere Möglichkeit, dem Lehrer:innenmangel entgegenzuwirken, sind sogenannte Seiten- oder Quereinsteiger:innen. Das sind Menschen, die bereits in einem anderen Beruf tätig waren, aber jetzt in den Lehrer:innenberuf wechseln möchten. Diese Menschen haben nicht nur Fachwissen aus anderen Bereichen, sondern können auch frischen Wind in den Bildungssektor bringen. In den meisten Bundesländern gehört das schon zur Normalität.
Warum es sich trotzdem lohnt, Lehrer:in zu werden
Als Lehrkraft hat man viel Verantwortung, aber auch die Chance, junge Menschen zu fördern und zu unterstützen. Das kann sehr erfüllend sein. Aber am besten wissen das die Menschen, die den Job tagtäglich machen:
Markus, Lehrer seit 2016
Fächer: Englisch, Geschichte, Politik und Darstellendes Spiel
Ort: Berlin
„Schule hat mir schon immer als Ort der Begegnung und des Lernens gefallen. Ich wollte wieder zur Schule gehen, nur diesmal in einer anderen Rolle.“
Durchs Lehren lernen
Markus unterrichtet seit 2016 Englisch, Geschichte, Politik und Darstellendes Spiel an einer Berliner Schule. Am Lehrersein gefällt ihm besonders der Austausch mit den Schüler:innen und dass er selbst viel von ihnen lernen kann. Trotz der Herausforderungen, die der Job mit sich bringt, würde er den Beruf immer wieder wählen. „Es ist ein Beruf, der viel von einem abverlangt und sehr viel zurückgibt“, sagt er. „Man muss gut planen können und multitaskingfähig sein. Man braucht viel Konzentration und muss schnell auf plötzlich eintretende Ereignisse reagieren können. Es ist auch ein Beruf für Selbstdarsteller:innen und Entertainer:innen.“
Weniger Bürokratie, mehr Vorbereitungszeit
Was Markus an seinem Beruf stört, ist vor allem die Bürokratie, die zu seiner Aufgabe des Lehrens noch dazu kommt. Die Organisation von Klassenfahrten oder Ausflügen, das Schreiben von Anträgen, das Führen des Klassenbuches, das Eintragen von Fehlzeiten und die Teilnahme an endlosen Konferenzen verschlingen für ihn viel Zeit, die er lieber für die Vorbereitung seines Unterrichts nutzen würde.
Leonie, Lehrerin seit 2020
Fächer: Deutsch, Geschichte
Ort: Mannheim
„Trotz des wöchentlich wiederkehrenden Stundenplans ist jeder Tag anders. Du weißt morgens nicht, welche Herausforderungen und Glücksmomente dich erwarten.“
Lehrkräftemangel ist nicht überall gleich
Leonie ist seit 2020 Lehrerin und unterrichtet in Mannheim. Sie hat den Beruf ergriffen, um junge Menschen über Jahre hinweg in ihrer Entwicklung begleiten zu können. Seit ihrem Referendariat hat sie es allerdings schwer, eine unbefristete Anstellung zu finden – trotz des Lehrer:innenmangels. Das liegt daran, dass es hierzulande starke Unterschiede zwischen den gewählten Unterrichtsfächern und Schularten gibt. Deswegen rät Leonie, sich vor dem Lehramtsstudium darüber zu informieren, welche Fächer wo gebraucht werden.
Mehr Realitätsbezug in der Bildungspolitik
Leonie liebt ihren Beruf, allerdings merkt sie auch, dass er sie zeitweise völlig in Anspruch nimmt. Sie wünscht sich deswegen mehr gesellschaftliche Anerkennung für Lehrer:innen und dass bei den Lösungsvorschlägen der Politik mehr an die tägliche Realität der Lehrkräfte gedacht wird. Wenn sie könnte, dann würde sie das Bildungssystem in Deutschland vereinheitlichen und die Einstellungsverfahren ändern. Besonders am Herzen liegt ihr allerdings eine Sache: „Den ständigen Notendruck abschaffen. Den Fokus noch stärker auf das Begreifen und Durchdringen legen, nicht auf die Reproduktion auswendig gelernter Fakten. Das ist im individuellen Unterricht zwar möglich, rückt im Moment der ‚Leistungsmessung‘ jedoch leider häufig in den Hintergrund.“
Mario, Lehrer seit 2013
Fächer: Geschichte, Sport
Ort: Cottbus
„Immer wieder mit neuen jungen Menschen und entsprechenden Herausforderungen konfrontiert zu sein und zuzusehen, wie aus den ‚kleinen‘ Siebtklässler:innen die großen Zwölftklässler:innen werden. Es ist faszinierend, wie sehr sich die Jugendlichen in diesem Zeitraum entwickeln.“
Sinnstiftend und herausfordernd
Mario hat Geschichte und Sport auf Lehramt studiert und unterrichtet seit 2013 in Cottbus. Er wollte schon immer mit jungen Menschen arbeiten und entschied sich daher für den Beruf als Lehrer. Sein Ratschlag für alle, die mit dem Gedanken spielen, Lehrer:in zu werden: Ausprobieren! Wie das geht? „Zum Beispiel indem du dich in eine Schule deines Vertrauens begibst und dort einfach einige Tage mitläufst.“ Man solle sich nicht von den vielen unterschiedlichen Meinungen beirren lassen: „Der Beruf ist ein faszinierender und ausfüllender. Aber du solltest dir darüber im Klaren sein, was der Lehrer:innenberuf bedeutet und welche Verantwortung er mit sich bringt.“
Lehrer:innen besser vorbereiten
Mario findet es schade, dass Lehrkräfte oft eine Rolle als Einzelkämpfer:innen einnehmen müssen. Er würde sich wünschen, dass die Lehrpläne besser auf die neuen Lebens- und Lernsituationen der Jugend und ihre Zukunft angepasst werden. Seine Empfehlung: eine rein pädagogische Hochschule, die nur die Lehrer:innenausbildung zum Ziel hat und die zukünftigen Unterrichtenden besser vorbereitet. Von der Politik wünscht er sich, dass deutlich mehr Geld in Bildung fließt und die Rahmenbedingungen hinsichtlich Ausstattung und Personal verbessert werden.
Christin, Lehrerin seit 2018
Fächer: Deutsch, Geschichte, Politische Bildung
Ort: Berlin
„Man hat am Ende des Tages das Gefühl, man hat etwas Positives beigetragen. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist zudem spannend und lehrreich.“
Probieren geht über Studieren
Christin unterrichtet seit 2018 als Vertretungslehrerin die Fächer Deutsch, Geschichte und Politische Bildung. Seit Februar 2022 ist sie Referendarin an einer Schule in Berlin. Von allen Jobs, die sie bisher hatte, spürt sie beim Lehrberuf einen besonderen Mehrwert. Auch sie rät vorab zum Ausprobieren, aus eigener Erfahrung: „Man sollte unbedingt vorher schon als Vertretungslehrkraft an eine Schule gehen und sich ausprobieren. Das geht zumindest in Berlin auch schon während eines Bachelorstudiums.“ Von der Bildungspolitik wünscht sich Christin kleinere Klassen, mehr pädagogisches Personal sowie sinnvoll reduziertere Rahmenlehrpläne.
Lehrer:innenmangel: Strategien, die helfen
Die Bertelsmann Stiftung hat bereits frühzeitig auf den sich anbahnenden Lehrkräftemangel aufmerksam gemacht und an den Empfehlungen des „Monitor Lehrerbildung“ zur Minderung des Lehrkräftemangels mitgewirkt. Darüber hinaus setzt sie sich für eine einfachere Integration ausländischer Lehrkräfte ein und hat dazu das Programm „Lehrkräfte Plus“ in Nordrhein-Westfalen initiiert.
Zahlen, Daten, Fakten zum Lehramtsstudium: Die öffentliche Datenbank „Monitor Lehrerbildung“ stellt relevante Daten zur ersten Phase der Lehrkräftebildung übersichtlich dar. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bertelsmann Stiftung und anderer Institutionen. Insgesamt sind 61 Hochschulen und alle Bundesländer daran beteiligt.