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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Was hilft gegen kollektive Einsamkeit junger Menschen?

Eine Person mit grauer Mütze und Rucksack steht mit dem Rücken zur Kamera, im Hintergrund fährt ein Zug vorbei
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Tom Frances Palattao – unsplash.com/license

Allein unter vielen? So kannst du der Einsamkeit entkommen!

  • Tom Frances Palattao – unsplash.com/license
  • 25. Oktober 2024

Immer mehr junge Menschen fühlen sich einsam und haben das Gefühl, kaum noch echte Freundschaften zu pflegen. Doch woran liegt das? Und was könnte helfen, diese Entwicklung zu stoppen? change hat nachgeforscht.

Im Japanischen gibt es für extreme Einsamkeit einen eigenen Begriff: Hikikomori, vom japanischen Wort für „sich zurückziehen“. Das beschreibt Menschen, meist junge Männer, die sich komplett aus dem sozialen Leben zurückziehen – und das oft über Jahre oder gar Jahrzehnte! Sie verlassen kaum ihr Zimmer und reduzieren Kontakte zu anderen auf ein absolutes Minimum. Schätzungen zufolge leben in Japan mittlerweile etwa eine Million Menschen so isoliert. Doch auch hier in Deutschland und in vielen anderen Ländern wird Vereinsamung immer mehr zum Problem.
 


Die kollektive Einsamkeit junger Menschen

Viele junge Menschen fühlen sich heute einsam – das bestätigen auch Studien. Zum Beispiel eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter 2.532 jungen Leuten im Alter von 16 bis 30 Jahren: Ganze 46 Prozent von ihnen gaben an, sich einsam zu fühlen. Einsamkeit ist zwar ein sehr persönliches Gefühl und bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich völlig aus der Welt zurückzieht, wie es bei Hikikomori der Fall ist. Aber solche Zahlen sollten uns alarmieren. Schließlich betrifft das Problem fast die Hälfte der jungen Generation.
 

Junge nachdenkliche Frau

Perspektiven bieten: Was tun gegen Einsamkeit und ihre Folgen?


Immer online, aber doch allein: Wie der digitale Stress uns isoliert

Doch wie kann es sein, dass wir uns im Zeitalter des Internets, in dem wir ständig miteinander verbunden sind, dennoch immer einsamer fühlen? Ein Teil des Problems hat mit dem enormen Druck zu tun, unter dem viele junge Menschen stehen. In Japan sind es besonders der krasse Leistungsdruck und die überhöhten Erwartungen, die junge Leute in die Isolation treiben, wie bei den Hikikomori.

Stress, Leistungsdruck und zu hohe Erwartungen machen depressiv

Viele haben das Gefühl, nicht gut genug zu sein, was zu massivem Stress führt – und dieser Stress kann Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen auslösen. Irgendwann sehen manche keinen anderen Ausweg mehr als den kompletten Rückzug. Doch dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Japan: Auch in Deutschland und weltweit spüren immer mehr junge Menschen den Druck, perfekt sein zu müssen – und das hat ernste Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit.

Viele Menschen sind mit ihrem Leben unzufrieden

Könnte das Gefühl der Unzufriedenheit auch hierzulande eine Rolle bei der Vereinsamung spielen? Expert:innen und Sozialforscher:innen sagen klar: Ja. Viele Jugendliche fühlen sich nicht nur einsam, sondern sind mit ihrem Leben insgesamt nur mäßig zufrieden. Gerade die Erfahrung, durch die Pandemie ausgebremst worden zu sein – genau in der Phase, in der das Leben so richtig Fahrt aufnehmen sollte – beschäftigt viele Befragte.

Gründe für den Frust

Hinzu kommt, dass Faktoren wie ein niedriger Schulabschluss oder Arbeitslosigkeit das Gefühl verstärken, nicht gut genug zu sein. Leistungsdruck, hohe Erwartungen und die ständige Angst, nicht mithalten zu können, tragen ebenfalls zur Unzufriedenheit bei. Das Gefühl, sich nicht frei entfalten zu können, ist also auch bei uns ein wichtiger Grund dafür, warum viele junge Menschen das empfinden, dass das Leben nicht so läuft, wie sie es sich erhofft haben.
 

Einsamkeit ist kein individuelles Problem, sondern betrifft uns alle.


Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Die steigende Zahl von jungen Menschen, die sich einsam und unzufrieden fühlen, zeigt deutlich: Einsamkeit ist längst kein rein persönliches Problem mehr – es betrifft uns alle. Es ist höchste Zeit, dass wir als Gesellschaft darüber nachdenken, wie wir miteinander umgehen wollen. Warum glauben so viele, dass ihr Wert allein von Leistung und Erfolg abhängt? Wenn wir das ändern wollen, müssen wir gemeinsam neue Wege finden, wie wir mehr Raum für Menschlichkeit und echte Verbindungen schaffen können.
 

Eine Gruppe von vier fröhlichen, lachenden jungen Menschen, die vor einem blauen Himmelshintergrund stehen. Sie tragen bunte, lässige Kleidung wie Jeans, Pullover und T-Shirts. Ihre Körpersprache und Gesichtsausdrücke signalisieren eine ausgelassene, lebendige Stimmung

Was die Generation Z einzigartig macht


Diese Wege führen aus der Einsamkeit

Um den Hikikomori aus ihrer Isolation herauszuhelfen, gibt es beispielsweise in Japan die Initiative „New Start“, die sogenannte „Mietgeschwister“ vermittelt. Sie schreiben den isolierten Menschen zunächst Briefe, besuchen sie dann zu Hause und begleiten sie Schritt für Schritt zurück in die Gesellschaft. Diese einfühlsame Unterstützung hat schon vielen geholfen, den ersten Schritt aus der Isolation zu wagen. Auch in Deutschland gibt es Projekte, die gegen Einsamkeit ankämpfen. Das „Kompetenznetz Einsamkeit“ zum Beispiel beschäftigt sich mit der Erforschung von Einsamkeit und entwickelt Hilfsangebote für Betroffene.

Mehr Menschlichkeit statt Leistungsdruck

Um die kollektive Einsamkeit zu überwinden, brauchen wir jedoch einen viel größeren Mentalitätswandel – und der muss schon früh beginnen, in Familien, Kindergärten und Schulen. Anstatt Menschen nur nach ihren Leistungen zu bewerten, sollten wir lernen, ihre Stärken und Schwächen zu akzeptieren. So kann ein echtes Gemeinschaftsgefühl entstehen, in dem sich jede:r wohl und angenommen fühlt.

Wie gehen andere Länder mit der Einsamkeit von jungen Menschen um? In der Publikation „Jung und einsam – Internationale Perspektiven für ein neues politisches Handlungsfeld“ gehen die Expert:innen der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Liz Mohn Stiftung dieser Frage nach.