Wie geht’s dir eigentlich während Corona?
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- 29. April 2021
Von einer Pause oder einem kurzen Einschnitt kann man nicht mehr sprechen: Das Leben vieler junger Menschen steht seit langer Zeit still. Wie fühlen sich Jugendliche und junge Erwachsene nach über einem Jahr Pandemie, was würden sie gerne ändern – und gibt es vielleicht auch gute Seiten an der nicht mehr ganz so neuen Normalität?
Sie gehören nicht per se zur Risikogruppe, Corona stellt also keine unmittelbare Bedrohung für ihr Leben und ihre Gesundheit dar. Trotzdem machen auch sie aus Rücksicht auf die älteren Generationen seit Monaten alle Einschränkungen mit, ohne dass sie für die Opfer, die sie bringen, besonders viel Wertschätzung erfahren: junge Menschen. Wie geht es ihnen damit?
Die vergessene Generation Corona
Medial werden Jugendliche und junge Erwachsene sogar immer wieder als vergnügungssüchtige Regelbrecher:innen abgestempelt, denen die Ausbreitung des Virus egal ist. Politisch wird zwar viel über sie diskutiert, wenn es beispielsweise um die Schließung von Schulen oder Universitäten geht, jedoch bezieht man sie kaum in Entscheidungsfindungen mit ein oder hört sich an, was sie zu sagen haben.
JuCo-Studie: So fühlen sich junge Menschen während der Pandemie
Zu sagen haben Jugendliche und junge Erwachsene jedoch viel. Zu diesem Ergebnis ist die JuCo-Studie gekommen, welche die Goethe-Universität Frankfurt am Main und die Universität Hildesheim in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung durchgeführt hat. Die Forscher:innen hat interessiert, wie junge Menschen sich in der Pandemie durch die Politik beachtet und gesellschaftlich eingebunden fühlen. Wie wirken sich die Einschränkungen auf ihren Alltag aus? Und inwieweit hängen unterschiedliche Erfahrungen und Bewältigungsmechanismen mit der allgemeinen Lebenssituation zusammen? Dazu wurden junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren befragt, im Altersdurchschnitt sind die Teilnehmer:innen 19 Jahre alt.
„Was viele Jugendliche abfuckt, ist, dass man überhaupt nicht gehört wird, die Tagesschau spricht von Schülern, jedoch werden nur die Meinungen von Erwachsenen gezeigt, aber nicht von denjenigen, die es überhaupt betrifft.“
– JuCo-Studienteilnehmer:in
Politisch mitgestalten? Fehlanzeige
Auf die Frage, ob sie sich von der Politik als beachtet und eingebunden wahrnehmen, gaben viele der Studienteilnehmer:innen an, dass sie sich kaum gesehen fühlen. Sie denken, dass Entscheidungen, die ihr Leben stark beeinflussen, über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Auch gebe es durch die sich andauernd verändernden Beschränkungen kaum Möglichkeiten, sich zu organisieren und den eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen.
Chill doch mal – aber wo?
Welche Auswirkungen monatelange Lockdowns auf die seelische, emotionale, geistige und körperliche Gesundheit haben, scheinen sich Politiker:innen kaum zu fragen. Viele junge Menschen leben mit ihren Familien teils in schwierigen Umständen und auf engstem Raum zusammen. An Schulen und Universitäten wird so gut wie nur noch online unterrichtet, Gemeindezentren und Jugendklubs werden rigoros geschlossen – und auch im Freien dürfen Menschen nicht in Gruppen zusammenkommen. Jugendliche können sich also kaum mehr treffen, chillen, sich austauschen und unbeschwert sein. Dass diese Orte zum Abhängen vielen fehlen, hat auch die JuCo-Studie bestätigt: Die Jugendlichen, die diese Orte vermissen, gaben auch an, psychisch sehr unter der aktuellen Situation zu leiden.
„Die Corona-Zeit belastet mich psychisch stark. Ich habe keinen richtigen alltäglichen Rhythmus und ich wache nachts öfter auf. Dann sitze ich dazu noch den ganzen Tag vorm Bildschirm, was mir kein gutes gesundheitliches Gefühl gibt. Ich denke, dass viele Kinder und Jugendliche unter solchen Problemen leiden. Dazu fehlt es oft an Hilfe und Unterstützung. Meine Eltern und Familie möchte ich nicht belasten, die haben selbst genug Probleme.“
– JuCo-Studienteilnehmer:in
Ein offener Brief an die Bundesregierung
Auch Studierenden macht die Schließung der Universitäten und der Online-Unterricht zunehmend zu schaffen. Der Kölner Jura-Student Raphael Neidhardt forderte in einem offenen Brief an die Bundesregierung Politiker:innen dazu auf, die fast drei Millionen Studierenden in Deutschland mehr zu beachten und sie in Entscheidungen miteinzubeziehen. Seine Botschaft: Die Lehre nur online abzuhalten, ist keine Dauerlösung, beeinträchtigt das Lernen, belastet die Psyche der Studierenden und beeinflusst damit deren ganzes weiteres Leben. Raphael Neidhardt forderte daher, die Unis und Bibliotheken zumindest teilweise zu öffnen. Um einen gewissen Austausch unter den Studierenden und einen Tapetenwechsel zu ermöglichen.
Arme Jugendliche sind besonders betroffen
Unter den für die JuCo-Studie befragten Jugendlichen leidet ganz besonders eine Gruppe: Jugendliche, die über wenige Ressourcen verfügen und sich Sorgen um ihre finanzielle Situation machen. Sie sind besonders häufig einsam, psychisch belastet und haben die meisten Sorgen um ihre Zukunft. Auch fehlen diesen Jugendlichen Rückzugsorte, wo sie in Ruhe lernen und sich entspannen können, sowie die technische Ausrüstung, die jetzt für die Schule, viele Berufsausbildungen oder ein Studium unverzichtbar ist.
Positiv: Weniger Freizeitstress durch Pandemie
Neben den negativen Auswirkungen, die das Corona-Virus auf das Leben vieler junger Menschen hat, finden einige auch Positives an der Pandemie: JuCo-Studienteilnehmer:innen gaben an, dass sie weniger Freizeitstress hätten, dafür mehr Zeit, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dass sie aufmerksamer gegenüber sozialen Problemen und Krisen geworden seien, weniger unter FOMO (Fear Of Missing Out) litten oder neue Hobbys für sich entdeckt hätten.
„Grundsätzlich habe ich wahrgenommen, dass viele junge Menschen neue Tätigkeiten für sich entdeckt haben wie z. B. Kochen, Sport, Handwerkliches etc. Ein Grund dafür ist sicher die frei gewordene Zeit. Das ist ein positiver Effekt der Situation. Ich wünsche mir, dass in Zukunft auch mehr freie Zeit vorhanden ist und dadurch auch Platz für ‚Entfaltung‘ und Eigeninitiativen. (Mir ist aber auch klar, dass nicht alle jungen Menschen eine Plattform haben, um sich auszuprobieren.) Ich verbinde mit der Corona-Zeit: Dankbarkeit und Umsicht vieler Menschen.“
– JuCo-Studienteilnehmer:in
Wer sich beschwert, hat Luxusprobleme
Jugendliche und junge Erwachsene sollen sich einfach an das halten, was beschlossen wird, auch wenn sie nicht mitreden dürfen. So kommt es bei vielen an. Klagen werden oft als Luxusprobleme abgetan. Darauf, was ein jugendliches Leben vor der Pandemie ausgemacht hat, soll verzichtet werden. Dabei wird vergessen, dass Gemeinschaft mit Gleichaltrigen gerade im jungen Alter unheimlich wichtig ist. Nur so kann man sich von der Familie lösen, unabhängig werden und einen eigenen Platz in der Welt finden. Dazu gehört auch, dass man sich ausprobiert, verrückte Sachen tut, eskaliert – nicht nur zu Hause am Schreibtisch sitzt und lernt. Junge Menschen stemmen derzeit eine große Last. Es ist die Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass die junge Generation nicht sozial, emotional und geistig völlig ausgebrannt aus der Pandemie kommt.
Die fragen, die es betrifft. Es ist höchste Zeit, dass Jugendliche gefragt werden, wie sie besser durch die Pandemie kommen, was sie brauchen - in jeder Schule, im Studium, in der Kommune und auch in der Landes- und Bundespolitik. Insbesondere Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen brauchen jetzt dringend Unterstützung, die passt. Die Bertelsmann Stiftung fordert, so schnell wie möglich eine repräsentative, umfassende und regelmäßige Bedarfserhebung für und mit Kindern und Jugendlichen.