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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Gefährdet Einsamkeit unsere Demokratie?

Junge nachdenkliche Frau Antonioguillem – stock.adobe.com

Perspektiven bieten: Was tun gegen Einsamkeit und ihre Folgen?

  • Antonioguillem – stock.adobe.com
  • 16. Juni 2023

Viele Jugendliche in Deutschland fühlen sich einsam – ein gesamtgesellschaftlicher Trend, den wir nicht unterschätzen dürfen: Studien zeigen, dass sich einsame Menschen leichter radikalisieren. change fragt nach, was es braucht, um Einsamkeit und ihren negativen Folgen vorzubeugen, wie es um das demokratische Denken der jungen Generation steht und gibt Tipps gegen Einsamkeit.  

Die Jugend von heute ist einsamer als jede Generation vor ihr. Das hat einerseits mit der Isolation durch Corona zu tun, die ihr Leben auch politisch gelähmt und geprägt hat. Andererseits gab es den Trend schon vor der Pandemie – denn Einsamkeit bei jungen Heranwachsenden hat verschiedene Ursachen und ist längst kein Einzelphänomen mehr: Finanzieller Druck, die Wohnsituation, familiäre Verhältnisse oder ein Migrationshintergrund sind zentrale Faktoren für das kollektive Einsamkeitsgefühl. Auch Leistungsdruck in Schule oder Uni, Ausgrenzung, Verluste und Umbruchphasen sind weitere Trigger. 
 


Die Studienlage: Radikalisiert Einsamkeit?  

Laut der Studie „Extrem einsam?“, die von der Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“ durchgeführt wurde, fehlt etwa der Hälfte der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren manchmal oder immer Gesellschaft. Nur knapp ein Viertel gibt an, jemanden zu haben, dem sie sich nahe fühlen, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden können. Die Studie zeigt auch eine weitere besorgniserregende Entwicklung: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und der Neigung zu antidemokratischen Einstellungen. Vor allem einsame Jugendliche scheinen sich vom Staat als „System“ abzuwenden, aber nicht ausschließlich: Nur 57 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Demokratie für die beste Staatsform halten. 
 


Entfremdung: Eine Gefahr für die Demokratie? 

Jugendliche suchen nach Sinn, Zugehörigkeit und einem Gemeinschaftsgefühl: Das ist wichtig für die Entwicklung und zutiefst menschlich. Allerdings bleibt ihre Suche sowohl im realen Leben als auch in den sozialen Netzwerken immer öfter unbefriedigt: Das liegt zum einen an fehlenden Angeboten und dem hohen Leistungsdruck in vielen Lebensbereichen – zum anderen aber auch an der teilweise ignoranten Haltung von Politik und Gesellschaft gegenüber den Bedürfnissen der jungen Generation. Gerade soziale Medien sind für einsame Jugendliche ambivalent: Einerseits bieten sie die Möglichkeit, Kontakte über das unmittelbare soziale Umfeld wie Schule oder Nachbarschaft hinaus zu knüpfen. Gleichzeitig können sie Einsamkeitgefühle verstärken, weil sie oft den Eindruck erwecken, dass alle anderen  ein aufregenderes und geselligeres Leben führen würden als man selbst. So wird das „subjektive Empfinden, zu wenig Kontakte zu haben, außen vor und sozial isoliert zu sein [verstärkt]“, so die Autor:innen der Studie „Extrem einsam?“. Wie die Studie außerdem zeigte, sind gerade sozial isolierte Jugendliche empfänglicher für Fake News, Hate-Speech und Verschwörungsmythen. Ihre Suche nach Anschluss macht sie anfällig dafür, von antidemokratischen Szenen wie beispielsweise rechtsextremen oder islamistischen Gruppierungen „abgeholt“ zu werden. Sie bieten Gemeinschaft, Anerkennung und scheinbare Erklärungen für ihre missliche Lage.

Junger Mann angelehnt an einer Wand

Was sind deine größten Sorgen?


Wünsche einer politikverdrossenen Jugend an Politik und Gesellschaft 

Was braucht es, um das Demokratieverständnis junger Menschen positiv zu stärken? Weniger reden, mehr handeln! Klimawandel, Gendergerechtigkeit, Schule und Bildungspolitik, Gesundheit und Wohlbefinden, Familie und ein glückliches Leben – Jugendliche haben Ängste, aber auch klare Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie wollen, dass ihre persönlichen Anliegen gehört und umgesetzt werden. Es sind große Themen, die sie bewegen. Für eine glückliche Zukunft brauchen sie die Politik. 
 

Im Rahmen des Projekts „I wish – Wunsch an die Politik“ skizzieren acht kurze Interviews die Stimmungslage in der Next Generation – jetzt in der Ausgabe 1/2023 des change Magazins. 

Herausforderung für die Demokratie: Was tut die Politik?

Politikverdrossenheit ist in der jungen Generation weit verbreitet: 55 Prozent der Jugendlichen finden nicht, dass die Politik die für ihre Altersgruppe relevanten Themen aufgreift. Rund acht Millionen junge Menschen – zwischen 15 und 24 Jahren – leben im demokratischen Deutschland; eine junge Generation will mitgestalten, aber die deutsche Demokratie macht es ihnen zu schwer.

Der Jugend mehr Gehör schenken

„Junge Menschen in Deutschland fühlen sich nicht genug gehört und beteiligt. Dies gilt in besonderem Maße für benachteiligte und marginalisierte Gruppen", sagt Anja Langness, Senior Project Manager der Bertelsmann Stiftung. „Es braucht greifbare politische Gestaltungsmöglichkeiten für die junge Generation“, ergänzt Regina von Görtz. Gemeinsam mit Langness leitet sie das Projekt „Junge Menschen und Gesellschaft - Nachhaltigkeit. Digital. Engagiert.“ Das Projekt hat das Ziel, die politische Mitwirkung junger Menschen und ihr gesellschaftliches Engagement für eine nachhaltige Zukunft zu stärken.

Jugendlichen früher eine Stimme geben

Es braucht also politische Gestaltungsmöglichkeiten. Das Wahlrecht ab 16 wäre ein Baustein, um Jugendlichen früher eine Stimme zu geben, mit der sie sich einbringen können. Damit junge Menschen vor extremistischen Ansichten und Gruppen geschützt werden, hat das Bundesfamilienministerium das Bündnis für die junge Generation initiiert. Mit Strategien gegen Einsamkeit und dem Demokratiefördergesetz nehmen weitere Maßnahmen Fahrt auf, die unter anderem einsame Jugendliche abholen und ihnen eine Perspektive geben wollen.

Was können wir konkret gegen Einsamkeit und ihre Folgen tun?

     

  • Selbstwirksamkeit ermöglichen: Obwohl sich ein Teil der junge Menschen von der etablierten Politik und Demokratie abwendet, ist die junge Generation keineswegs verloren. Im Gegenteil: Ein Großteil ist politisch so aktiv wie lange keine Generation vor ihr. Es ist wichtig, ihnen Möglichkeiten zur Beteiligung und Mitgestaltung zu geben.
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  • Medienkompetenz vermitteln: Von Radikalisierung Betroffene merken oft gar nicht, was mit ihnen geschieht, wenn sie in autoritäre Gruppen geraten. Prävention ist das Stichwort: Ein gutes Beispiel ist das von der Bildungsstätte Anne Frank entwickelte Spiel HIDDEN CODES­­, das Schüler:innen zu Detektiv:innen macht und sie für das Thema sensibilisiert.
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  • Wohlfühlorte schaffen: Einsame Jugendliche geben häufiger an, sich an Orten unwohl zu fühlen. Schule, Ausbildungsplatz oder Universität: Orte, an denen sie viel Zeit verbringen, sollten ein integratives Umfeld bieten. Präventions- und Interventionsaktivitäten sind notwendig wie zum Beispiel das umfassende Konzept der guten gesunden Schule. Ein Ansatz dafür könnte beispielsweise der Einsatz von Mental Coaches und Sozialpädagog:innen in Schule und Kinder- und Jugendhilfe sein.
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  • Hobbys entwickeln und connecten: Klingt zu simpel? Vereine bieten eine ideale Plattform, um Gleichgesinnte zu treffen und gemeinsam Zeit zu verbringen. Workshops, Kurse oder lokale Veranstaltungen verbinden Spaß und Geselligkeit. Schon mal daran gedacht, einen Buchclub zu gründen? Lesen ist ein schönes Hobby, das neue Welten eröffnet. Auch die Arbeiterwohlfahrt und die Kirche können Anlaufstellen sein, wenn es darum geht, sich zu vernetzen und Freundschaften zu schließen.
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  • Neue Communitys finden – auch online: Beispielsweise die App Bumble, bietet die Möglichkeit, Leute in der Nähe zu finden, mit denen man sich „freundschaftlich“ verknüpfen kann. Facebook-Gruppen bringen Leute zusammen, die neu in einer Stadt sind oder Anschluss suchen. Plattformen in deiner Nähe bündeln Angebote und Events, wie das Informations- und Beteiligungsportal für Jugendliche in Berlin.
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  • Zeit online zu verbringen ist okay! Jugendliche verbringen viel Zeit vor dem PC oder am Handy. Das ist nicht nur negativ zu sehen, denn virtueller Kontakt ist besser als gar keiner. Online-Communitys, Foren und Social Media ermöglichen den Austausch mit Gleichgesinnten. E-Mail- oder WhatsApp-Kontakte mit alten Freund:innen oder der Familie sollte man pflegen. Und auch Onlinespiele bieten Raum für virtuelle Freundschaften und gemeinsame Abenteuer.
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  • Engagement und Ehrenamt: Solidarische Werte sind den meisten Jugendlichen sehr wichtig. Warum nicht helfen oder sich ehrenamtlich engagieren? Hausaufgabenhilfe für Jüngere, Teilnahme an Müllsammelaktionen in der Stadt, Gassi gehen mit dem „Hund auf Zeit“, Zeit mit Senior:innen verbringen oder Nachbarschaftshilfe – tut gut und schafft Kontakte. Auch online gibt es Möglichkeiten ins Engagement zu finden. Beispielsweise die App „Global Citizen“ oder die Portale „U18“ und „JugendMachtPolitik“.
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  • Beziehungsangebote schaffen: Wo finden einsame Menschen Hilfe, wenn das soziale Netz, die Familie und die Bezugsperson fehlen? Der wichtigste Schritt ist, sich mitzuteilen. In akuten Situationen helfen zum Beispiel niedrigschwellige Beratungsangebote wie der krisenchat oder veritas für Betroffene von Verschwörungsglauben, die in der Lebenswelt der Zielgruppe ansetzen.
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Die Bertelsmann Stiftung setzt sich in verschiedenen Projekten mit dem Thema Junge Menschen und Gesellschaftauseinander und fördert so die Selbstbestimmung der Next Generation. Um die Studie „Extrem einsam?“ ging es im Detail in einer Panelveranstaltung mit Vertreter:innen der Bertelsmann Stiftung und des Vereins „Das Progressive Zentrum“. Zu Gast waren Bundesfamilienministerin Lisa Paus und weitere Expert:innen.