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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Was denkt TV-Regisseur Noé Debré über Europa?

Porträt des TV-Regisseurs Noé Debré
Interview
Sabina Paries

Noé Debré: Es braucht mehr Spielfilme über die EU!

  • Jo Berlien
  • Sabina Paries
  • 14. April 2023 | aktualisiert: 6. Dezember 2023

Als politische Institution wirkt die Europäische Union auf viele Menschen undurchsichtig. Die TV-Serie „Parlament“ will das ändern und gewährt Zuschauer:innen einen Einblick in das, was wirklich im Europaparlament in Straßburg vor sich geht. change war bei den Dreharbeiten zur dritten Staffel dabei und hat mit Regisseur Noé Debré darüber gesprochen, wie Filme Politik zugänglicher machen können. 

In der europäischen TV-Serie „Parlament“ geht es nicht um Parteien und Wahlkampf oder vordergründig um Macht. Die Stars sind keine Präsident:innen, EU-Kommissar:innen oder Abgeordneten. Sondern die Assistent:innen: junge Leute Ende zwanzig, die das Europaparlament hinter den Kulissen am Laufen halten. Mit satirischem Blick arbeitet die Serie den Politalltag auf, betont dabei aber gleichzeitig immer, wie unverzichtbar die Europäische Union als politische Institution ist.
 

Hauptdarsteller Samy und Noé Debré im Parlament

Infos zur Serie

Die Serie „Parlament“ begleitet Hauptdarsteller Samy (Xavier Lacaille), der kurz nach der Brexit-Abstimmung eine Stelle als Assistent bei einem französischen Europaabgeordneten antritt. Noé Debré, der als Drehbuchautor 2015 in Cannes für das Flüchtlingsdrama „Dämonen und Wunder“ die Goldene Palme gewonnen hat, ist einer von sechs jungen Regisseur:innen, die gemeinsam das Drehbuch der Serie geschrieben haben und abwechselnd Regie führen. „Parlament“ wurde mehrfach ausgezeichnet, so 2021 mit dem Grimme-Preis und 2023 mit dem internationalen TV-Preis Rose d'Or in der Kategorie „Best Comedy Drama and Sitcom“.


Die von France.tv, dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) und dem belgischen BeTV finanzierte europäische Produktion „Parlament“ ahmt kongenial den Politbetrieb nach: So wie Abgeordnete aus 27 Nationen in Straßburg und Brüssel aufeinandertreffen, bekommen es hier Schauspieler:innen aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien oder Schweden am Set miteinander zu tun.

Im Mittelpunkt der Serie stehen die Assistent:innen – und ein gutes Drehbuch

So was kann auch schiefgehen. Ähnlich wie Filme über Fußball selten funktionieren, weil die Dramaturgie des Spiels in der Regel unberechenbar und der Fiktion dadurch voraus ist, lässt die reale Politik sämtliche Versuche, ihr aufklärerisch beizukommen, ins Leere laufen. Wie beim Fußball weiß man nie, was als Nächstes kommt. Wagt man es dennoch, braucht es einen frischen Ansatz – im Mittelpunkt der Serie stehen die Assistent:innen von Politiker:innen, von denen man öffentlich im Politbetrieb sonst wenig mitbekommt – und ein gutes Drehbuch.

 

Im Vordergrund Filmkameras, im Hintergrund sitzt Regisseur Noé Debré an einem Tisch und erklärt eine Szene
Alltag am Set: Regisseur Noé Debré gibt Anweisungen.
Ein Klappstuhl vor einem Spiegeltisch, auf dem Make-up-Utensilien liegen
Ein Blick hinter die Kulissen: In der Maske werden die Darsteller:innen in ihre Seriencharaktere verwandelt.
Zwei Männer unterhalten sich auf einer Treppe, im Hintergrund hängt eine EU-Flagge
Die Schauspieler Johann von Bülow (l.) und Martin Brambach verkörpern in der Serie deutsche Mitarbeiter im EU-Parlament.
Das Set der Serie "Parlament"
Regisseur Noé Debré bespricht mit Darsteller:innen den Aufbau einer Szene.
Statue vorm EU-Parlament, eine Frau hält einen Ring mit Sternen
Vor dem Parlament erstrahlt nachts die statuengewordene Europa mit Sternenkranz.
Stuhl und Tischreihen versehen mit Mikrophonen
Im Sitzungssaal verbringen die EU-Abgeordneten einen Großteil ihrer Zeit – deshalb darf er auch als Kulisse in der Serie nicht fehlen.


change | Herr Debré, mal ehrlich, wir alle lieben Europa. Aber haben Sie nicht auch Mühe mit der EU als Institution?

Noé Debré | Grundsätzlich bin ich misstrauisch gegenüber Leuten aus dem Showgeschäft, die sich über Politik äußern oder gar Ratschläge geben. Ich glaube, dass es an Verständnis für die EU mangelt. Ich bin immer wieder erstaunt, dass wir offenbar kollektiv mehr von US-amerikanischen Institutionen zu verstehen glauben, einfach deshalb, weil es so viele Filme darüber gibt. Wir schauen „House of Cards“ und „The West Wing“ und glauben, komplexe Dinge zu verstehen.
 


Aber die EU ist Realität: Wir hören Nachrichten, wollen verstehen, was vor sich geht, aber je intensiver wir uns damit beschäftigen, desto unverständlicher erscheint uns die EU.

Tja, Institutionen sind wirklich komplex und kompliziert! Und ich empfinde es so, dass wir unter einem Mangel an Imaginärem leiden. Wir hoffen, dass wir mit der Serie in bescheidenem Maße dazu beitragen können, diesen Mangel ein wenig auszugleichen – in einem sehr bescheidenen Ausmaß. Aber wie ich höre, wird dieses Jahr noch ein französischer Film im Parlament gedreht. Gut so!

Intellektueller Anspruch und leichte Unterhaltung

Seit der Premiere 2020 hat die Serie „Parlament“ einhelliges Lob der Kritik und in Deutschland einen Grimme-Preis erhalten. Noé Debré und Kolleg:innen bringen intellektuellen Anspruch und leichtgängige Unterhaltung zusammen. Sie erzählen lässig von dröger Parlamentsarbeit, karikieren lustvoll kafkaeske Winkelzüge von Eurokrat:innen und vermeiden elegant Fallen, indem sie ihren Charakteren charmante Züge geben.

„Ich glaube, dass es an Verständnis für die EU mangelt. Ich bin immer wieder erstaunt, dass wir offenbar kollektiv mehr von US-amerikanischen Institutionen zu verstehen glauben, einfach deshalb, weil es so viele Filme darüber gibt.“

– Noé Debré, Regisseur


change | Deutsche und Französinnen wie Franzosen sind in ihrer Wesensart häufig Antipod:innen: Was erleben Sie als Regisseur und Autor, wenn Sie diese zwei Welten aufeinanderprallen lassen?

Noé Debré | Tatsächlich spielt sich im Europäischen Parlament eine sehr intensive Konfrontation unterschiedlicher politischer Kulturen ab. Die Leute vom WDR, so habe ich gelernt, kümmert es wenig, wenn ein deutscher Charakter gemein ist, solange er als kompetent erscheint. Aber es beunruhigt sie, wenn man einen deutschen Politiker als machtlos und inkompetent darstellen will.

Philippe Duquesne spielt mit wunderbarer Hingabe den französischen Abgeordneten Michel Speklin. Michel ist tatsächlich inkompetent und machtlos.

Ja, dieser Michel ist inkompetent und vor allem faul. Französinnen und Franzosen finden das lustig. Sie sind, glaube ich, eher empfindlich, wenn es um Moral geht. Typisch für einen französischen Kritiker wäre das Urteil: „Die Figur ist nicht liebenswert, sie ist zu männlich.“

Ein Kran mit Bauarbeitern vor der Flagge der Europäischen Union

Elf Dinge, die wir ohne die EU vermissen würden


Es heißt, es habe Ärger gegeben, weil Sie den Österreicher Lucas Englander als Deutschen besetzt haben?

Es ging nicht um Lucas. Aber tatsächlich haben wir dazu tendiert, einige Schauspieler:innen aus Österreich zu besetzen. Der WDR sagte: „Deutsche und Österreicher:innen, das ist nicht dasselbe!“

Stimmt, ist es nicht. Das sehen sie vor allem auch in Österreich so.

Das war für uns neu. In Frankreich haben wir so viele Belgier:innen, der Akzent spielt keine Rolle. Neu war auch: Martina Eitner-Acheampong ist aus Ostdeutschland und hat in der DDR Schauspiel am Theater gelernt, sie bringt eine eigene Spielart mit.

„Tatsächlich spielt sich im Europäischen Parlament eine sehr intensive Konfrontation unterschiedlicher politischer Kulturen ab. Die Leute vom WDR, so habe ich gelernt, kümmert es wenig, wenn ein deutscher Charakter gemein ist, solange er als kompetent erscheint.“

– Noé Debré, Regisseur


Die Politik ist ein vermintes Gelände – haben Sie sich einen politischen Fauxpas geleistet?

In Frankreich haben wir dezidiert Rechte und Linke. Die ordnet man so ein. Die deutsche CDU, die in der Europäischen Volkspartei (EVP) vertreten ist, will aber nicht als „rechts“ bezeichnet werden. Sie besteht darauf, als konservativ bezeichnet zu werden.

Frisch gegrillte Bratwürste schwingen von der Empore

Eine Satire schöpft immer auch aus Klischees. In einer Folge will Samy, der französische Assistent und Hauptakteur (gespielt von Xavier Lacaille), eine Abstimmung gewinnen – gegen die erklärte Mehrheit deutscher Abgeordneter. Also greifen er und seine britische Kollegin zum Bratwurst-Trick: Von der Empore herab schwenken sie frisch gegrillte Bratwürste – und locken so kurz vor der finalen Abstimmung die Deutschen aus dem Plenum.

change | Der Bratwurst-Trick war etwas platt, oder?

Oje, ein wirklich billiger Witz, ja. Wir waren überzeugt: Das lassen sie uns beim WDR nicht durchgehen! War aber dann doch kein Problem. Einwände gab es, weil in Deutschland der Fleisch- und Wurstkonsum inzwischen eine politische Frage ist. Das ist doppelt lustig. Als unser Filmteam zum Mittagessen in der Parlamentskantine war, hörten wir von den Köch:innen: Da kommen die Vegetarier:innen!

Eine junge Frau lächelt in die Kamera und formt mit ihren Händen einen Rahmen

Einbürgerung in Deutschland: Das haben Doppelstaatler:innen erlebt


Am Set wird Englisch, Deutsch und Französisch gesprochen

Die beiden deutschen Schauspieler Johann von Bülow und Martin Brambach sprechen am Set ihre Dialoge auf Deutsch ein. Der Regisseur steht daneben und versteht kein Wort. Gut, dass Martin, ein Deutscher vom Produktionsteam, im Zweifel übersetzen kann. Im Interview erzählt Regisseur Debré, er finde die Atmosphäre am Set erfrischend, in der das Englische, Deutsche, Französische munter durcheinandergeht. Denn Europa ist immer auch beides: jede:r für sich und doch gehören alle irgendwie zusammen.

Demokratie bedeutet auch, sich stets an neue Herausforderungen anzupassen und Veränderungen nicht zu fürchten. Im Demokratiemonitor verfolgt die Bertelsmann Stiftung die Entwicklung demokratischer Systeme – zu Hause in Europa genauso wie weltweit. Auch mit anderen europäischen Themen befasst sie sich: etwa mit Europas Rolle in der Welt, dem wirtschaftlichem Zusammenhalt zwischen den unterschiedlichen Regionen Europas und damit, welche Meinung die Europäer:innen eigentlich über die EU haben.