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Man lernt nie aus: So divers sind Schulen weltweit

Eine Person hält eine Glühlampe gegen den Abendhimmel Diego PH – unsplash.com/license

Und wie lernst du? Sieben Schulformen aus der ganzen Welt

  • Diego PH – unsplash.com/license
  • 16. Oktober 2020

Schule = Frontalunterricht + Noten? Nicht überall. Weltweit gibt es viele unterschiedliche Ansätze, wie Schule organisiert wird. Einige spannende haben wir hier zusammengetragen – vom demokratischen Lernen bis hin zur Schule als Großraumbüro.

An der „richtigen Schule“ scheiden sich die Geister, denn jede Schulform hat Vor- und Nachteile. Welche bereitet am besten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor? Umso wichtiger ist es, dass man gut über verschiedene Schul- und Lernarten informiert ist. Was es jenseits des klassischen Frontalunterrichts sonst noch gibt, erfährst du hier.

1. Demokratische Schulen: Viele Freiheiten, selbst gewählte Regeln

Alle Macht geht vom Volke aus: An Demokratischen Schulen gilt das auch für die Kleinsten. Dort verzichtet man weitgehend darauf, den Schüler:innen etwas vorzuschreiben. Es gibt keinen allgemeingültigen Lehrplan. Was gelernt wird oder wie man die Schulzeit nutzt, entscheidet jede:r selbst. Wie man sich verhält, darf nur nicht die anderen einschränken oder gegen die Regeln verstoßen. Welche Regeln es gibt, wird basisdemokratisch entschieden. In regelmäßigen Versammlungen dürfen Schüler:innen, Lehrer:innen und der Rest der Schulgemeinschaft gleichberechtigt darüber abstimmen. Das folgt der Idee, dass Entscheidungen diejenigen (mit-)treffen sollen, die von den Entscheidungen selbst betroffen sind.
 


2. Ørestad-Gymnasium: Die Schule ohne Wände, Stifte und Bücher

Das Ørestad-Gymnasium in Dänemark hat praktisch keine Wände. Damit unterscheidet sich die Schule stark vom klassischen Betonkasten, den viele noch aus der eigenen Schulzeit kennen. Das Herzstück des Gebäudes bildet ein offenes Foyer, welches Emporen und grob abgetrennte Lernbereiche umgeben. Diese sind vielseitig: Zylinderförmige Auditorien, Sitzecken und Stand-up-Bereiche stehen den Lehrer:innen und Schüler:innen zur Verfügung, um damit das Lernen am Ørestad-Gymnasium zu gestalten. Welche Umgebung für welche Lerneinheit optimal ist, das entscheiden die Lehrer:innen. Die vielen Möglichkeiten sollen ihre Kreativität anregen und den Unterricht abwechslungsreicher machen. Und noch eine Besonderheit zeichnet das Ørestad-Gymnasium aus: Es arbeitet komplett ohne Papier. Hefte, Bücher und Stifte sucht man hier vergebens, die Schüler:innen lernen ausschließlich digital.

Drei Jugendlichen programmieren einen Roboter in einem Klassenzimmer.

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3. Freinet-Schulen: Schluss mit den Schulbüchern

Hier geht es nicht etwa um kostenloses WLAN: „Freinet“ hießen lediglich die französischen Reformpädagog:innen Élise und Célistin mit Nachnamen. In den gleichnamigen Schulen – meist Grundschulen – lernt man frei, allerdings nach Absprache: Einmal wöchentlich dürfen die Schüler:innen einen individuellen Unterrichtsplan mit ihren Lehrer:innen aushandeln. Ihre Interessenfelder, Lernpartner:innen und das Lernmaterial dürfen sie selbst bestimmen. Nach Ablauf der Woche reflektieren sie eigenständig ihre Leistungen und analysieren ihre Probleme, wenn sie bestimmte Aufgaben nicht bewältigen konnten. In regelmäßigen Gruppentreffen stellen sie ihre Ergebnisse der Klasse vor. Die Freinets hielten nicht viel von Schulbüchern, ausgewiesene Lehrbücher für bestimmte Fächer gibt es nicht.
 


4. Carpe Diem Schools: Das Callcenter unter den Schulen

Das Konzept für die Carpe Diem Schools stammt aus dem US-Bundesstaat Arizona. Die Schüler:innen lernen in Großraumbüros und fast ausschließlich digital. Sie bekommen ein eigenes „Cubicle“ – einen Schreibtisch mit Sichtschutz, wie man ihn aus amerikanischen Spielfilmen kennt – und einen Computer, an dem sie den Großteil ihres Lernpensums abarbeiten. Anfangs begeisterte die Idee noch, auch außerhalb Arizonas eröffneten Carpe Diem Schools. Mittlerweile kämpfen die Callcenter-Schulen jedoch mit niedrigen Anmelderaten. Eine Schule in Cincinnati, Ohio, musste bereits schließen.
 

Eine Frau lacht und blickt zur Seite.

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5. Montessori-Schulen: Kinder als „Baumeister:innen ihres Selbst“

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Maria Montessori ein neuartiges Bildungskonzept, das vollständig auf vorgeschriebenes Lernen verzichtet. Ihr Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ verweist auf die Rolle, die Erwachsene in ihrem Bildungssystem spielen: Sie sollen die Entwicklungsphasen erkennen, die jedes Kind durchläuft, und dementsprechend eine individuelle Lernumgebung schaffen. Montessori war der Meinung, dass Kinder von Geburt an nach Unabhängigkeit und Freiheit streben und darin bestärkt werden sollten. In Montessori-Schulen dürfen sie also größtenteils selbst aussuchen, woran sie arbeiten und ob sie dazu beispielsweise eine:n Lernpartner:in wollen.
 


6. Vorschulen ohne Geschlechter: Das Schubladendenken gar nicht erst lernen

Warum tanzen Jungs nicht gerne, und warum werden Mädchen selten laut? Wenn es nach schwedischen Pädagog:innen geht, sind es kulturelle Stereotype, die Kinder in ihrer Persönlichkeitsentfaltung einschränken. An vielen schwedischen Vorschulen ist es deshalb üblich, sie nicht mit den geschlechterbezogenen Pronomen „han“ (deutsch: „er“) und „hon“ (deutsch: „sie“) anzusprechen, sondern mit „hen“. Das geschlechtsneutrale Pronomen ist frei erfunden und hat es beeindruckend schnell in den Mainstream geschafft, nachdem es 2012 in einem Kinderbuch Verwendung fand. An den geschlechtsneutralen Vorschulen versucht man, Kinder für Tätigkeiten zu begeistern, die gesellschaftlich stark geschlechtsbezogen codiert sind. Sie sollen lernen, nicht in Schubladen zu denken, was sich allerdings als schwierig erweist in einer Welt, die sie außerhalb der Schule – in Filmen, Werbung, im Familienleben – mit geschlechtlichen Stereotypen konfrontiert.
 

Ein Klassenfoto der Klasse 5e des Städtischen Gymnasiums in Olpe.

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7. Waldorf-Schulen: Mehr als nur den Namen tanzen

Der Name „Waldorf“ geht auf die Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik zurück. Die erste Waldorf-Schule gründete man nämlich vor gut 100 Jahren für die Kinder der Fabrikarbeiter:innen. Die Schulform fußt auf der Weltanschauung Rudolf Steiners, der sogenannten Anthroposophie. Schüler:innen bekommen keine Noten, man befolgt keine staatlichen Bildungspläne, und sitzen bleiben kann man auch nicht. Künstlerischer und handwerklicher Bildung wird viel Raum gegeben. Entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass Waldorf-Schulen keine „echten Schulen“ sind, kann man dort das Abitur erwerben. Die klassischen Schulfächer wie Mathe oder Geschichte gibt es dort auch, sie werden nur häufig in sogenannte „Epochen“ gegliedert. Dabei beschäftigen sich die Schüler:innen über längere Zeiträume hinweg mit demselben Thema und erarbeiten sich dabei ein eigenes Portfolio.

Wie sieht die Schule der Zukunft aus? Welche Ansätze aus den Beispielen oben lassen sich übertragen? Das Projekt „In Vielfalt besser lernen“ der Bertelsmann Stiftung zeigt uns, wo die Stärken und Schwächen unserer Schulen liegen, welche Kompetenzen Kinder zukünftig für ein erfülltes Leben benötigen, und wie man zum Beispiel digital individueller lernen kann.