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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Gering Literalisierte im Internet: Es braucht mehr Barrierefreiheit!

Frau liest auf ihrem Smartphone

Vor welchen Herausforderungen stehen Menschen mit Lese- und Schreibproblemen im Internet?

  • Andrik Langfield - unsplash.com/license
  • 20. November 2020

Schnell mal nach den neuesten Nachrichten im Internet suchen oder per Online-Banking Geld überweisen: Für die meisten Menschen ist das ganz normal. Doch was, wenn die Lese- und Schreibfähigkeiten nicht ausreichen, um diese Dinge problemlos hinzubekommen?

Wer heutzutage nicht souverän mit digitalen Medien umgehen kann, hat viele Nachteile. Das ist nicht erst seit Corona so, hat sich aber im Zuge der Pandemie verschärft. Denn immer mehr Aspekte des Alltagslebens werden digitaler. Für Menschen mit wenig Lese- und Schreibkenntnissen ist das ein Problem.

Weniger Selbstvertrauen als Menschen mit guten Lese- und Schreibkenntnissen

Die Studie „LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität“ hat herausgefunden, dass Erwachsene, die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben, wenig Vertrauen in sich haben, wenn es um digitale Alltagskompetenzen geht. Zumindest deutlich weniger als Menschen, die gut lesen und schreiben können. So trauen sich nur 59,8 Prozent der Erwachsenen mit geringer Literalität das Bedienen von Online-Wohnungsbörsen zu, während es unter den höher literalisierten Menschen 83,3 Prozent sind. Bei Jobbörsen und Dating-Apps sieht es ähnlich aus.
 

Was bedeutet eigentlich „geringe Literalität“?

In Deutschland gibt es derzeit ca. 6,2 Millionen erwachsene Menschen mit „geringer Literalität“. Das heißt, dass sie zwar einzelne Wörter lesen und schreiben können, aber Probleme haben, zusammenhängende Texte zu verstehen oder zu schreiben.

Der Begriff wurde 2018 in der sogenannten LEO-Studie geprägt. Die Vorgängerstudie von 2010 bezeichnete geringe Literalität noch als „funktionalen Analphabetismus“. Das wird jedoch einerseits von vielen Betroffenen als stigmatisierend empfunden, andererseits wurde der Begriff als missverständlich und sehr erklärungsbedürftig kritisiert. Es gibt aber auch Stimmen, die betonen, ohne die „Schockwirkung“ des Wortes Analphabetismus wäre die Diskussion um geringe Literalität heute wahrscheinlich nicht so weit, wie sie es ist. Die Zahlen sind seit Jahren rückgängig.

Man unterscheidet drei Stufen der geringen Literalität:

Alpha-Level 1: Menschen, die nur einzelne Buchstaben lesen und schreiben können

Alpha-Level 2: Menschen, die einzelne Wörter lesen und schreiben können, diese aber oft Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen müssen

Alpha-Level 3: Menschen, die einzelne Sätze lesen und schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte erfassen können

Zwei Hände halten ein Buch auf


Auch das Bewerten von Fake News fällt schwerer

Doch nicht nur das Selbstvertrauen im Umgang mit digitalen Anwendungen ist geringer, auch die sogenannte Urteilskompetenz fällt bei Menschen mit Lese- und Schreibproblemen schlechter aus. So sehen es nur 52,1 Prozent dieser Menschen als einfach und eher einfach an, glaubwürdige Quellen im Internet zu beurteilen, während es bei Menschen ohne diese Probleme 79,8 Prozent sind. Auch das Unterscheiden von Werbung und redaktionellen Inhalten fällt Erwachsenen mit geringer Literalität sehr viel schwerer.
 

Schätz mal! Wie viele Millionen erwachsene Menschen (18-64 Jahre) in Deutschland können so wenig lesen und schreiben, dass sie keine zusammenhängenden Texte lesen oder verfassen können?

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Antwort: 6,2 Millionen

Wie hoch ist der Anteil erwachsener Menschen an der Bevölkerung in Prozent, die eine auffällig fehlerhafte Rechtschreibung haben und für die Lesen und Schreiben nur unter großer Anstrengung möglich ist?

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Richtiger Wert

Antwort: 20,5 Prozent


Mehr Teilhabe durch Einfache und Leichte Sprache

Auch Menschen mit Leseschwierigkeiten sollen sich informieren können. In Deutschland betrifft das immerhin jede:n achte:n Erwachsene:n. Auch sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was in Politik und Gesellschaft passiert und wie sie an diesen Entwicklungen teilhaben können. Dafür gibt es Angebote in sogenannter Leichter Sprache und Einfacher Sprache. Das Portal „nachrichtenleicht“ des Deutschlandsfunks bietet beispielsweise einen Wochenrückblick in Leichter Sprache an, und von der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es das Angebot „einfach POLITIK:“.

Digitale Grundbildung ausbauen

Die gute Nachricht: In Deutschland nimmt der Anteil von Menschen mit erheblichen Schreib- und Leseproblemen immer weiter ab. Und es gibt Bemühungen, sie beim Aufbau digitaler Kompetenzen stärker zu unterstützen. So bekommen die Volkshochschulen in den nächsten vier Jahren zwölf Millionen Euro vom Bund, um das digitale Angebot für Erwachsene mit geringer Literalität auszubauen.

Die Bertelsmann Stiftung setzt sich dafür ein, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich in der Gesellschaft einzubringen und an ihr teilzuhaben. Der Blog „Digitalisierung der Bildung“ beschäftigt sich unter anderem damit, wie der Zugang zu Bildung demokratisiert werden kann.