Zusammenhalt durch Kultur: Das können Alt und Jung voneinander lernen
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KULTURISTENHOCH2 – Michael Hagedorn
- 05. April 2019
Ob man im Alter gut abgesichert ist, das ist für junge Menschen oft noch keine Frage. Was, wenn die Rente nur noch für das Nötigste reicht? Der Besuch im Kino oder Theater ist dann oft nicht möglich. Für viele ältere Menschen ist das die bittere Realität. Doch es gibt Initiativen, die auch wirtschaftlich eingeschränkten Senioren kulturelle Teilhabe ermöglichen.
Eine dieser Initiativen ist das Hamburger Projekt KULTURISTENHOCH2. Die Kulturisten laden Senioren und junge Menschen ein, kostenlos und regelmäßig gemeinsam an Kulturveranstaltungen teilzunehmen. Finanziert wird das Projekt durch Spenden. Initiatorin Christine Worch hatte die Idee, wirtschaftlich eingeschränkte Senioren mit Oberstufenschülern durch die Kraft von Kunst und Kultur zu verbinden. change traf sich in Hamburg mit den Tandempartnern Sophie und Peter und sprach über den Zusammenhalt in der Gesellschaft, die Tücken des Älterwerdens und warum Alt und Jung viel voneinander lernen können.
change | Hallo Sophie und Peter, schön, dass ihr Zeit gefunden habt. Ihr seid Tandempartner bei den Kulturisten. Wann habt ihr das erste Mal von dem Projekt gehört?
Sophie: Die Kulturisten sind zu unserer Schule gekommen und haben sich vorgestellt. Mir hat das richtig gut gefallen, es hat sofort gefunkt. Einerseits jemandem durch eine Begegnung etwas zu schenken und andererseits für den Stadtteil etwas zu tun.
Peter: Bei mir war’s der Zufall. Die Kulturisten haben dort, wo ich wohne, Prospekte verteilt. Ich habe mir das dann durchgelesen und Kontakt aufgenommen.
Ist da keine Hemmschwelle, sich einfach auf so einen Prospekt hin zu melden?
Peter: Ich komme aus der Werbung, da hat man vielleicht einen anderen Zugang zu solch einer Ansprache. Ich habe dann geholfen, neue Mitglieder zu finden. In meiner Gegend wohnen eher ältere Leute und auch solche, die keine große Rente haben. Es geht ja bewusst darum, älteren Menschen, die nicht viel Geld haben, Kontakte zu vermitteln und nicht einfach eine Theaterbörse zu sein.
Theater und Oper – war das immer schon von Interesse oder kam das erst mit den gemeinsamen Kulturbesuchen?
Peter: Daran hatte ich immer schon Interesse. Aber wenn man älter ist und nicht mehr so viel verdient, kann man sich einen Konzertbesuch auch nicht oft leisten.
Bei den Konzertbesuchen werden ältere Menschen, die eine kleine Rente haben, von Schülerinnen und Schülern begleitet. Du bist eine davon, Sophie. Was hat dich dazu bewegt, dich als Tandempartnerin zu engagieren?
Sophie: Am Anfang war ich etwas aufgeregt. Die einzigen älteren Menschen, mit denen ich regelmäßig zu tun habe, sind Oma und Opa. Aber das ist auch der Reiz daran, neue Menschen kennenzulernen, die man sonst nicht treffen würde. Unsere Gesellschaft wird immer älter und der Austausch zwischen Alt und Jung immer wichtiger, denn durch diese Begegnungen können wir viel lernen. Die Kulturveranstaltungen haben mich auch interessiert. Ich war vor ein paar Monaten das erste Mal in der „Zauberflöte“ und das war total cool. Ich hätte nie gedacht, dass mich das so begeistert.
Es geht aber auch um mehr als nur Konzertbesuche, du nimmst auch an Workshops der Kulturisten teil.
Sophie: Als Tandems lernen wir in speziellen Schulungen, worauf man achten muss, wenn man mit Menschen unterwegs ist, die zum Beispiel nicht mehr so gut zu Fuß sind. Ich habe mal an einem Workshop teilgenommen, bei dem man einen Altersanzug, einen gerontologischen Simulator, trägt. So durch die Stadt zu laufen, Bus zu fahren oder einzukaufen, ist ziemlich anstrengend. Man kann sich kaum bewegen und die Sicht ist eingeschränkt. Die Schulungen haben mich super auf die Tandems vorbereitet. Was ist zum Beispiel, wenn ich jemanden abhole, der im Rollstuhl sitzt? Wie kommen wir die Treppen runter und in die U-Bahn rein? Mit dem Wissen fühlt man sich dann auch gleich sicherer.
Peter: Ich bin in der glücklichen Lage, noch nicht auf den Rollstuhl angewiesen zu sein. Aber wenn es mal so weit ist, bin ich beruhigt, weil Sophie den Umgang damit ja schon gelernt hat (lacht).
In der öffentlichen Wahrnehmung überwiegt das Bild der politikverdrossenen, teilnahmslosen Schüler. Aktionen wie die Kulturisten-Tandems oder die Klimaschutz-Demo Fridays for Future zeigen, dass dieses Bild überholt ist. Was ist deine Botschaft an deine Altersgenossen, die denken, sie könnten nichts bewegen?
Sophie: Einfach machen! Wenn du etwas verändern möchtest, zählt der Versuch. Deine Stimme wird gehört. Projekte wie die Kulturisten sind eine tolle Anlaufstelle, um sich einzubringen.
Welche Begegnungen bleiben euch in Erinnerung?
Peter: Mein erster Abend mit Sophie bei den Filmfestspielen. Wir waren uns gleich sympathisch.
Sophie: Ja, stimmt. Das ist übrigens das Schöne daran, dass mir nicht nur die Kulturveranstaltungen in Erinnerung bleiben. Es entstehen auch echte Freundschaften. Peter und ich haben uns viel zu erzählen und wir lernen auch voneinander.
Voneinander lernen – wie meinst du das genau?
Sophie: Vor allem habe ich Gelassenheit gelernt. Wenn ich aufgeregt war, ob alles mit den Karten klappt oder wir nicht doch zu spät kommen, hat Peter sehr gelassen reagiert. Das färbt ab! Ich gehe auch achtsamer mit meinen Mitmenschen um als früher, mache Platz oder biete Hilfe an.
Peter: Ich bin 71, naturgemäß habe ich nicht mehr viel mit jungen Menschen zu tun. Durch die Tandems kommt ein Austausch zustande, den ich sonst nicht hätte. Ich erfahre, was für Probleme und Interessen junge Menschen heute haben. Das ist eine ganz tolle Sache.
Ein Anliegen der Kulturisten ist es, Einsamkeit und Isolation im Alter zu begegnen und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Was schätzt ihr besonders am Austausch zwischen jung und alt?
Peter: Es gibt ja nicht nur einen Austausch zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den Kulturen. Ich war einmal mit einem jungen Mann aus Afghanistan bei einem Konzert und wir sprachen über Musik, ich schwärmte von der Band Queen. Ihm sagte das überhaupt nichts – er hatte seine Jugend im Iran verbracht und war erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen. Andersrum hat er mir dann Musik empfohlen von Gruppen, von denen ich noch nie gehört hatte (lacht).
Sophie: Vorhin fiel das Wort Einsamkeit. Ich sehe die Kulturisten auch als Chance, mich gegen Ausgrenzung und Vereinsamung einzusetzen.
Danke für das Gespräch und viel Spaß bei den kommenden Veranstaltungen!
Wie steht es um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft? Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen den Generationen und Kulturen ein.