Deutschland vs. Kanada: Wer kann Willkommenskultur besser?
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Tyler Nix – unsplash.com/license
- 21. Dezember 2022
Große Feier mit Pomp und Hymne oder einsamer Eid im Amtszimmer? Eine Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist für die meisten Menschen eine richtig große Sache. Besonders in Kanada wird dieser Anlass ausgiebig zelebriert. change hat sich gefragt: Kann Deutschland da überhaupt mithalten?
In puncto Willkommenskultur kann Deutschland noch einiges von Kanada lernen. Wir nehmen die kanadischen und die deutschen Einbürgerungstraditionen genauer unter die Lupe.
Herzlich willkommen in Kanada
Kanada ist auf der ganzen Welt für seine offene Willkommenskultur bekannt. Dort wird alles darangesetzt, dass die neuen Kanadier:innen das Land so richtig kennen- und lieben lernen und möglichst schnell ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden. Deutschland kann sich davon noch eine Scheibe abschneiden, denn auch hierzulande werden Neu-Deutsche dringend gebraucht.
Kanada: Einwanderung mit langer Tradition
In dem ehemaligen Kolonialland Kanada hat die Einwanderung eine lange Tradition. Heute wird dort stark in eine Willkommenskultur investiert, die allen offensteht. Sowohl der Staat als auch das regierungsunabhängige Institute for Canadian Citizenship (ICC) suchen stets neue Möglichkeiten, um Neubürger:innen den Einstieg ins Land und in die Kultur so leicht wie möglich zu machen.
Einbürgerung in Kanada: Ein Grund zum Feiern!
Die kanadische Staatsbürgerschaft gibt es offiziell erst seit dem 1. Januar 1947. Vor der Einführung des Canadian Citizenship Act galten die in Kanada lebenden Menschen als britische Untertan:innen. Am 3. Januar 1947 fand am obersten Gerichtshof Kanadas die allererste Staatsbürgerschaftszeremonie statt. Mit der Verabschiedung des Staatsbürgerschaftsgesetzes wurde auch der kanadische Staatsangehörigkeitseid eingeführt, den alle Menschen, die Kanadier:innen werden möchten, seither aufsagen müssen.
Die kanadische Einbürgerungszeremonie ist seitdem sowohl rechtlich als auch symbolisch von großer Bedeutung und daher für alle Staatsbürgerschaftsanwärter:innen über 14 Jahre verpflichtend. Alle Menschen, die den Einbürgerungstest erfolgreich absolviert haben, erhalten in der Regel drei Monate später eine offizielle Einladung. Ausgerichtet wird die Einbürgerungszeremonie vom Ministerium für Staatsangehörigkeit und Einwanderung (Immigration, Refugees and Citizenship Canada [IRCC]), und sie markiert dort den „formalen Einstieg in die kanadische Familie“.
Virtuelle Einbürgerungszeremonien sind seit Corona keine Seltenheit
In Kanada können die Zeremonien zur Einbürgerung sowohl in Anwesenheit als auch online abgehalten werden. Typischerweise finden sie in speziellen Räumen in den Büros des IRCC statt, aber auch in Schulen, Gemeindezentren oder Museen. Staatsbürgerschaftszeremonien gibt es im ganzen Land und zu allen Jahreszeiten. Besonders groß wird der Anlass zum nationalen Canada Day und während der Staatsbürgerschaftswoche gefeiert.
Der große Tag: Willkommen in der kanadischen Familie
In einem offiziellen Informationsvideo können Anwärter:innen auf die kanadische Staatsbürgerschaft alles über den Ablauf der Einbürgerungszeremonie erfahren. Dort werden sogar Vorschläge zum Dresscode für das Event gemacht: „Etwas Besonderes, aber gleichzeitig Angemessenes“ heißt es da unter anderem.
Neben den erforderlichen Dokumenten ist es den Teilnehmenden ebenfalls erlaubt, ihre heilige Schrift mitzubringen und den Eid darauf zu schwören. Familie und Freunde sind herzlich eingeladen, und auch Fotos sind bei der Zeremonie ausdrücklich erlaubt. Nach der Zeremonie stehen sogar die Beamt:innen für gemeinsame Aufnahmen zur Verfügung. Dass das Event von den Medien übertragen beziehungsweise aufgenommen wird, ist ebenfalls nicht unüblich.
Eine Feier mit den neuen Nachbar:innen
Bei der Veranstaltung, die insgesamt zwei bis drei Stunden dauert, schwören und unterschreiben die Teilnehmenden den Einbürgerungseid, bevor sie ihre Einbürgerungsurkunde erhalten. Damit bekennen sie sich zu allen Rechten und Pflichten, die sie als kanadische Staatsbürger:innen erwarten. Oft finden zusätzlich Gastvorträge oder besondere Aktivitäten statt. Beendet wird die Zeremonie mit dem gemeinsamen Singen der kanadischen Nationalhymne, danach sind die Neu-Kanadier:innen eingeladen, gemeinsam zu feiern und ihre „neuen Nachbar:innen“ kennenzulernen.
Eine hochemotionale Angelegenheit
Für die Teilnehmenden ist die Einbürgerungszeremonie ein besonderes und hochemotionales Event. Der Kommentarbereich unter dem oben genannten Informationsvideo ist voll von Liebesbekundungen für das Land und begeisterten Ausrufen, wie sehr sich die Menschen auf ihren großen Tag freuen oder wie gerne sie selbst Kanadier:in werde würden. Auf YouTube findet man zudem zahlreiche Videos von Familien und Einzelpersonen, die ihre (Online-)Einbürgerung dokumentiert und veröffentlicht haben. Sie fiebern regelrecht auf den Tag hin, an dem sie endlich kanadische Staatsbürger:innen werden und ihnen die Privilegien und die Chancen, die das Land bietet, vollständig offenstehen.
Einbürgerung in Deutschland
In Deutschland ist die Einbürgerung Sache der zuständigen Stadt oder des Landkreises. Zwei verpflichtende Programmpunkte gibt es jedoch für alle Behörden: die Aushändigung der Staatsbürgerschaftsurkunde und das Bekenntnis zum Grundgesetz und den Gesetzen der Bundesrepublik. Seit 2007 müssen Anwärter:innen auf die deutsche Staatsbürgerschaft dieses nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich mit einem Eid bekräftigen.
Anders als in den „klassischen“ Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien sind die Behörden in Deutschland nicht verpflichtet, eine Einbürgerungsfeier für neue Staatsbürger:innen auszurichten. Das Bundesinnenministerium empfiehlt sie lediglich, um den feierlichen Charakter des Bekennungseides noch feierlicher zu machen.
Auch in Deutschland haben sich offizielle Feiern etabliert
In manchen deutschen Städten und Kreisen – wie etwa Frankfurt am Main, Bonn oder Bamberg – gibt es schon seit den 1990er-Jahren offizielle Feiern anlässlich der Einbürgerung neuer Staatsbürger:innen. Seit der Einführung des obligatorischen Bekenntnisses haben sich die Einbürgerungsfeiern in Deutschland bundesweit ausgebreitet. Immer mehr wurde dabei auch den bürokratieliebenden Deutschen klar, dass der Erhalt einer Staatsbürgerschaft für die Beteiligten ein großer Moment ist.
Wie feiert Deutschland die Einbürgerung?
Mittlerweile hat jede Behörde und jedes Bundesland ihre ganz eigene Tradition, die Einbürgerungsfeier auszurichten. In Hessen zum Beispiel haben das Ministerium für Soziales und Integration und das Ministerium des Innern und für Sport vor einigen Jahren die Kampagne „Hessen und ich DAS PASST“ ins Leben gerufen. Fester Bestandteil ist die alljährliche Einbürgerungsfeier unter der Schirmherrschaft des Hessischen Ministerpräsidenten.
Die sechste Ausgabe der Feierlichkeiten fand dieses Jahr am 4. Oktober, direkt nach dem Tag der Deutschen Einheit, im Biebricher Schloss in Wiesbaden statt. Der festliche Rahmen wird dabei bewusst gewählt, um den neuen Deutschen gebührend und in einem passenden Ambiente für ihr Bekenntnis zum Land und für ihre Entscheidung zu danken.
Selfies mit dem Bürgermeister: In Baden-Württemberg ein festes Einbürgerungsritual
In Baden-Württemberg gehen die Feierlichkeiten im Rahmen der Einbürgerung ähnlich festlich zu wie in Hessen. Im Weißen Saal des Neuen Schlosses in Stuttgart fand dieses Jahr die fünfte zentrale Einbürgerungsfeier statt, an der mehr als 200 Gäste teilnahmen. Der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl hatte die Feier im Jahr 2017 ins Leben gerufen. Sie ist mittlerweile zu einer Institution im Land geworden. Im vergangenen Jahr wurden in diesem Rahmen rund 17.300 Personen aus 127 Nationen eingebürgert.
Deutschland sollte von Kanada lernen
Auch wenn Einbürgerungsfeiern in Deutschland noch nicht so lange Brauch sind wie in Kanada, wird viel getan, um den identitätsstiftenden Akt der Einbürgerung und die damit verbundenen Mühen und Bekenntnisse der neuen Staatsbürger:innen zu würdigen. Denn eins ist sicher: Deutschland braucht Einwanderung. Und Menschen, die sich hier zu Hause fühlen. Und in dieser Hinsicht können wir noch viel von den Kanadier:innen lernen.
Willkommen in Deutschland! Seit zehn Jahren untersucht die Bertelsmann Stiftung mit repräsentativen Umfragen die Einschätzungen zu Migration und die Wahrnehmungen, wie willkommen Einwanderinnen und Einwanderer sowie Flüchtlinge vor Ort bei der Bevölkerung und bei den Behörden sind. In dem Projekt „Migration fair gestalten“ geht es darum, wie Migration zum Vorteil aller gestaltet werden kann.