Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine: Grenzenlose Solidarität
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Анастасия Стягайло– stock.adobe
- 09. Juni 2023
Der Krieg in der Ukraine dauert an und zwingt Millionen von Menschen, ihre Heimat zu verlassen und in anderen Ländern Zuflucht zu suchen. Gleichzeitig gibt es eine Welle der Solidarität. change zeigt, wie die Hilfe ankommt.
Viele Menschen wollen angesichts der großen Ungerechtigkeit, die dem ukrainischen Volk widerfährt, nicht untätig bleiben. Einer von ihnen ist Armando García Schmidt. change hat mit ihm darüber gesprochen, welche Gesten der Solidarität und des Mitgefühls den größten Unterschied machen.
Teil zwei unseres Ukraine-Hilfe-Artikels
In dem vorangegangenen Artikel zu diesem Thema haben wir die Geschichte einer deutschen Familie erzählt, die seit Beginn des Krieges ihre Wohnung in Berlin mit ukrainischen Geflüchteten teilt. In diesem Artikel zeigen wir, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, zu helfen. Jede:r kann auf seine Weise helfen und den Geflüchteten den Start im neuen Land erleichtern.
Armando García Schmidt, 51 Jahre
Projektleiter im wirtschaftspolitischen Programmbereich bei der Bertelsmann Stiftung
Wohnort: Bielefeld
„Als wir gesehen haben, wie viel Not und Leid dieser Krieg verursacht hat, haben wir uns gefragt: Was können wir jetzt selbst tun? Und dann haben wir uns gesagt, genau das machen wir: Wir helfen den Menschen ganz konkret.“
Auf einmal kommt der Krieg ganz nah
Armando García Schmidt ist Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung. Als Projektleiter im Programmbereich Wirtschaftspolitik beschäftigt er sich unter anderem mit der Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Die Nachricht vom Kriegsausbruch im Februar 2022 hat ihn sehr erschüttert. Er fühlte sich in seine Vergangenheit zurückversetzt, als er im Europaprogramm der Bertelsmann Stiftung arbeitete. Dort erlebte er den Überfall Russlands auf Georgien hautnah mit. Aber es gibt für Armando García Schmidt noch einen anderen Berührungspunkt mit der Ukraine, einen eher persönlichen, privaten: Seine Frau stammt aus Polen, aus einer Stadt im Südosten des Landes, die sehr nahe an der ukrainischen Grenze liegt.
Erste Station auf der Flucht vor dem Krieg: Polen
Durch die Verbindung nach Polen hatten Armando García Schmidt und seine Frau damals mitbekommen, wie viele Flüchtlinge nach Kriegsausbruch nach Polen kamen. Sie waren überwältigt von der sofortigen Hilfsbereitschaft. „Die Polinnen und Polen sind damals wirklich an die Bahnhöfe gegangen und haben die Flüchtlinge angesprochen: ,Ich habe in meiner Wohnung ein Zimmer frei. Wer will mitkommen?‘ Diese Hilfsbereitschaft kam von Privatpersonen, der Staat konnte gar nicht so schnell reagieren“, erzählt er. Viele der ukrainischen Flüchtlinge blieben in Polen, anderen war die Nähe zur Ukraine zu unsicher, sie wollten weiterziehen. Auch alte Schulfreund:innen von Armando García Schmidts Frau hatten damals Ukrainer:innen bei sich aufgenommen, unter ihnen zwei Schwestern mit jeweils zwei Kindern.
Yuliia Turiva, 34 Jahre
Beruf in der Ukraine: Elektrikerin
Herkunftsort: Horischni Plawni, Ukraine
„Die Situation war für uns alle sehr schwierig. Auch wenn die Familie von Armando nichts gesagt hat, haben wir verstanden, dass es auch für sie schwer war.“
Eine der beiden Frauen, die kurz nach Kriegsbeginn bei den polnischen Freunden der Familie von Armando García Schmidts unterkamen, ist Yuliia Turova. Vor dem Krieg lebte sie mit ihrem Sohn, ihrer Tochter und ihrem Mann in Horischni Plawni, einer Stadt in der zentralukrainischen Region Poltawa. Der Sohn von Frau Turova lebte in einem Sportinternat in Mykolajiw im Süden der Ukraine, wo er sich auf eine Karriere als Rennfahrer vorbereiten sollte.
Wenn die Heimat zum Kriegsgebiet wird
Was Yuliia Turova und ihre Familie erlebten, als der Krieg in ihrem Heimatland ausbrach, ist für die meisten von uns kaum vorstellbar: „Zwei Stunden nach Beginn der Großoffensive verließen wir das Haus. Mein Mann und ich wurden von unserem Sohn geweckt. Er war zu dieser Zeit im Sportinternat in Mykolajiw im Süden des Landes. Durch seinen Anruf erfuhren wir, dass der Krieg begonnen hatte. Er berichtete uns, dass russische Kampfflugzeuge über das Wohnheim seines Internats flogen. Unser Sohn fuhr sofort mit dem Fahrrad aus Mykolajiw weg, wir fuhren von Horischni Plawni aus mit dem Bus nach Westen“, erzählt sie. „Nachdem unser Sohn 120 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren war, schaffte er es, einen Bus zu erwischen, der ihn nach Lemberg im Westen der Ukraine bringen sollte. Mein Mann, unsere Tochter und ich saßen zu dem Zeitpunkt in einem Bus, der aus der Zentralukraine in den Westen fuhr. Weil keiner genau wusste, was passieren würde, entschied der Fahrer des Busses spontan, dass er alle Passagiere über die Grenze nach Polen bringen würde. Mein Mann blieb aber in Lemberg, um auf unseren Sohn zu warten. Meine Tochter und ich fuhren weiter. Wir standen zwei Tage an der Grenze, bevor wir nach Polen einreisen konnten“, erinnert sie sich.
Helfen, ohne zu zögern
Am Verteilungspunkt an der polnischen Grenze teilte Yuliia Turova den Beamten mit, dass sie auf ihren Sohn warten müsse. So landeten sie und ihre Tochter bei Freund:innen der Familie García Schmidt in grenznahem Gebiet auf polnischer Seite. Dort fanden sie auch einen polnischen Helfer, der ihren Sohn später über die Grenze brachte. Der Mann von Frau Turova blieb in Lemberg, um dort im Zivilschutz mitzuarbeiten. In Polen trafen Frau Turova und ihre Kinder auch ihre Schwester und deren Töchter. Als die beiden Frauen den Wunsch äußerten, weiter nach Deutschland zu ziehen, waren die García Schmidts nur einen Anruf entfernt. „Meine Frau und ich haben dann kurz miteinander gesprochen und gesagt: ,Ja, das machen wir‘“, erinnert sich Armando García Schmidt. Zwei Tage später organisierten die polnischen Freund:innen einen Kleintransporter und brachten die Ukrainer:innen mit ihren Kindern nach Bielefeld, zu den García Schmidts.
Ein Bulli, der nicht leer zurück soll
Sechs Geflüchtete, zwei Fahrer, einen Hund und Gepäck hatte der Kleintransporter geladen, als er bei den García Schmidts ankamen. Für die Familie von Armando García Schmidt war sofort klar: Der Transporter sollte nicht leer zurück nach Polen fahren. Kurzerhand organisierten sie einen Spendenaufruf im privaten und beruflichen Umfeld. Die Hilfe war überwältigend: „Auf einmal kamen Freund:innen und Bekannte, aber auch Fremde auf uns zu. Das hat sich irgendwie rumgesprochen. Da standen dann auf einmal Leute da, die waren extra einkaufen gegangen und hatten den ganzen Kofferraum voll. Wir konnten dann den Bulli bis unter die Decke beladen. Das war wirklich bewegend für uns“, erzählt Armando García Schmidt.
Genug Raum für alle
Anfang März 2022 kamen die ukrainischen Flüchtlinge bei den García Schmidts an. Damit die beiden Schwestern mit ihren Kindern zusammenbleiben konnten, machte die Familie García Schmidt Platz in ihrem Einfamilienhaus. Sogar ihr eigenes Schlafzimmer stellten sie den beiden Familien zur Verfügung. Probleme gab es keine. „Natürlich war die Situation am Anfang für alle etwas komisch, aber das ist verständlich und ganz normal. In den nächsten ein, zwei Tagen sind wir dann immer mehr zusammengewachsen“, erinnert sich Armando García Schmidt. Da die Familie Polnisch spricht und die Sprache dem Ukrainischen relativ ähnlich ist, konnten sich die Familien gut verständigen. Auch das Zusammenleben funktionierte gut, wenn auch nur für kurze Zeit.
Glück im Unglück
Armando García Schmidt beschreibt es als großes Glück für alle Beteiligten, dass schon nach kurzer Zeit eine eigene Wohnung für die Ukrainer:innen gefunden werden konnte. Freund:innen, die er vom Sport her kannte, besitzen eine Gästewohnung, die zu diesem Zeitpunkt leer stand. So konnten die Flüchtlinge in eine voll möblierte Wohnung ziehen, die zudem in unmittelbarer Nähe der Schule lag, in die die Kinder der beiden Frauen gehen sollten.
Integrationsmotor Sport
Besonders gefreut hat sich Armando García Schmidt darüber, dass der Sohn von Frau Turova sofort einen Platz in einem Bielefelder Radsportverein finden konnte. „Der Verein hat sich gefreut, weil sie jemanden hatten, der quasi sofort für sie Rennen fahren konnte. Und der Junge hat direkt Anschluss gefunden. Daran habe ich gelernt, wie gut Sport und Sportvereine als Integrationsmotoren funktionieren können“, berichtet er.
Ein positives Fazit
Insgesamt zieht Armando García Schmidt eine sehr positive Bilanz seiner Erfahrungen. „Reibungsloser hätte es kaum laufen können“, resümiert er. Die beiden Frauen haben inzwischen selbstständig jeweils eine eigene Mietwohnung gefunden und sind gut vernetzt. Auch die Kinder sind glücklich in der Schule und haben Freund:innen und Bekannte gefunden.
Bürokratie-Support als wertvolle Hilfeleistung
Auch wenn die Ukrainer:innen insgesamt nur eine relativ kurze Zeit bei den García Schmidts gewohnt haben, fand der Großteil der Unterstützung an ganz anderer Stelle statt: Behördengänge, Formulare, Kommunikation mit Ämtern, Kindergartenplätze, Schulplätze etc. „Unterstützung bei Integrationsschritten“ nennt Armando García Schmidt das. „In Deutschland ist das alles ein ziemlich aufwendiger Prozess. Da frage ich mich: Wie schaffen das eigentlich die Menschen, die niemanden haben, der ihnen diese Brücken baut?“ Armando García Schmidt betont deshalb, wie wichtig es für ihn ist, dass sich Menschen bereit erklären, solche Hilfe zu leisten.
Dankbarkeit, Anpassung und eine ungewisse Zukunft
Frau Turova berichtet, dass sie sehr dankbar für die Hilfe ist, die sie, ihre Schwester und ihre Kinder von der Familie von Armando García Schmidts erhalten haben. Aber die Situation belastet sie auch sehr, vor allem die Gedanken an die noch völlig ungewisse Zukunft. „Mein Mann ist noch da und kann nicht zu uns kommen, und wir können nicht da sein, weil es nicht sicher ist. Es war schwierig, Deutsch zu lernen. Die Kinder haben sich sehr schnell daran gewöhnt. Bei mir kam die Motivation erst, als ich gemerkt habe, dass es für uns im Moment keinen Weg zurück gibt. Mein Sohn kann dort nirgendwo trainieren, und es wird lange dauern, bis nach dem Krieg alle Straßen wieder instand gesetzt sind. Deshalb haben wir uns angepasst. Der Krieg ist noch nicht vorbei, und es ist nicht klar, wann er enden wird“, sagt sie.
Jede:r kann helfen
Im Rückblick wird Armando García Schmidt in unserem Gespräch immer wieder bewusst, dass er und seine Frau in ihrer Situation großes Glück hatten. Er weiß, dass es auch anders hätte kommen können. Das eigene Haus oder die eigene Wohnung für fremde Menschen zur Verfügung zu stellen, sei auch ein großes Risiko, dessen man sich als Helfender vorher bewusst sein müsse. Er empfiehlt daher allen, die Flüchtlingen helfen wollen, dies im Rahmen der Integrationshilfe zu tun. Dazu könne man sich an die eigene Kommune wenden oder nach lokalen Initiativen Ausschau halten. In Berlin vermittelt und begleitet zum Beispiel der Verein WIR GESTALTEN e. V. Patenschaften zwischen Berliner:innen und Geflüchteten.
Unterstützende unterstützen
Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, Geflüchtete zu unterstützen. Wer keinen Wohnraum zur Verfügung stellen kann oder keine Patenschaft übernehmen möchte, kann zum Beispiel an Initiativen und Vereine spenden. Initiativen wie #UnterkunftUkraine, über die wir in unserem letzten Artikel zum Thema schon berichtet haben, sind immer dankbar für Unterstützung, um ihrerseits Flüchtlinge unterstützen zu können.
Die Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich mit wichtigen Fragen rund um die Krisensituation in Deutschland und Europa und engagiert sich für die Unterstützung Geflüchteter aus der Ukraine. Mehr Informationen zu über einem Jahr Krieg in der Ukraine sowie Zahlen, Daten und Fakten findest du hier.