change hat nachgefragt: Warum sollten wir der Politik noch vertrauen?
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- 15. Januar 2024
Dass das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Regierung in den letzten Jahren stark gesunken ist, ist kein Geheimnis. Doch woran liegt das? Und wie können wir verhindern, dass unsere Demokratie darunter leidet? change hat mit Nicole Kleeb, Demokratieexpertin bei der Bertelsmann Stiftung, gesprochen und spannende Antworten erhalten.
Stell dir vor, deine Freund:innen oder Bekannten brechen immer wieder ihre Versprechen und sind unzuverlässig. Was macht das mit dir? Wahrscheinlich würdest du nach und nach das Vertrauen in diese Menschen verlieren. Ähnlich läuft es auch mit Regierungen, die ihre Wahlversprechen nicht halten: Die Bürger:innen verlieren das Vertrauen. Anders als deine Freund:innen wird Bundeskanzler Olaf Scholz dich wahrscheinlich eher nicht zu einem Wiedergutmachungsdrink einladen – erst recht nicht, wenn sich herausstellt, dass er seine Versprechen eigentlich gar nicht gebrochen hat.
Nicole Kleeb
…. ist seit 2022 Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung. Aktuell geht es bei ihrer Arbeit um die Unterstützung junger Menschen für ein freiheitliches und demokratische Europa im Rahmen des Projekts „#NowEurope“ – Bildung und Next Generation. Zuvor waren ihre Schwerpunkte Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt im Projekt „New Democracy“. Im Rahmen der Wiederholungswahlen in Berlin 2023 war sie an der Initiative „Erstwahlprofis“ beteiligt. Zuvor studierte sie Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen in Wuppertal und Budapest.
„Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen“ – Ampel-Edition
Die Regierungskoalition aus SPD, FDP und den Grünen, dank ihrer Parteifarben auch liebevoll Ampel-Koalition genannt, regiert Deutschland nun schon seit 2021. Ihr Koalitionsvertrag enthält insgesamt 453 „echte“ Regierungsversprechen. Also solche, bei denen man anhand klarer Kriterien nachprüfen kann, ob sie erfüllt wurden oder nicht. Zum Vergleich: Das sind gut doppelt so viele wie im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2018. Ziemlich ambitioniert!
Die „Streitkoalition“: Wenig Vertrauen dank lebhafter Diskussionskultur
Doch woran liegt es, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung das Gefühl hat, dass die aktuelle Regierung ihre Versprechen nicht hält? Es sind die größtenteils öffentlich inszenierten Streits der Parteien untereinander. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, dass diese Streits dazu führen, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland davon ausgeht, dass die Ampel-Koalition auch sonst nicht viel auf die Reihe bekommt und ihre Versprechungen den Wähler:innen gegenüber nicht hält.
Geschlossenheit zeigen und Menschen mitnehmen
Was also tun, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Regierung sinkt, diese ihre Versprechen aber eigentlich einhält? Die Demokratieexpert:innen von der Bertelsmann Stiftung sind der Meinung, dass es aufseiten der „Ampel“ vor allem hilfreich wäre, sich nach außen hin geschlossen zu präsentieren und zu zeigen, dass die Zusammenarbeit eigentlich funktioniert und gemeinsam Dinge erreicht werden. Außerdem sei es wichtig, den Menschen zu zeigen, dass ihre Bedenken gehört und ernst genommen werden.
Jede:r hat die Möglichkeit, politisch mitzugestalten!
Wenn wir als Bevölkerung in Deutschland unzufrieden mit unserer Regierung sind, dann können wir mehr tun, als es auf den ersten Blick scheint. Denn nicht umsonst leben wir in einer Demokratie, in der wir die Möglichkeit haben, an politischen Prozessen teilzunehmen und unsere Meinungen und Präferenzen auszudrücken. Eines der wichtigsten Instrumente dafür sind Wahlen. Wie diese zukunftsfähig gemacht werden können, ist eine Frage, mit der sich Nicole Kleeb in ihrer Arbeit für die Bertelsmann Stiftung täglich beschäftigt.
„Politik muss vor allem ‚miterlebbar‘ sein: Die Menschen können und wollen sich beteiligen. Egal, ob es junge oder alte Bürger:innen sind, die im Internet oder auf der Straße für ihre Meinung mobilisieren. Mitmachen, Mitreden und Mitgestalten sind Herausforderung und Chance zugleich.“
- Nicole Kleeb, Demokratieforscherin bei der Bertelsmann Stiftung
Demokratie live und in Farbe erleben: Viel spannender!
Nicole Kleeb kam als Praktikantin zur Bertelsmann Stiftung, seit 2022 arbeitet sie als Projektmanagerin in den Bereichen „Demokratie und Zusammenhalt" sowie „Bildung und Next Generation". In dieser Funktion begeistert sie aktuell junge Menschen für die Europawahlen. Im Studium machten ihr Demokratiethemen noch nicht so viel Freude, weil alles so theoretisch und wenig greifbar war. „Im Praktikum war ich dann im Bundestag und im Europaparlament. Demokratie live und in Farbe zu sehen, machte dann deutlich mehr Spaß“, erzählt sie.
Was passiert, wenn das Vertrauen in die Demokratie schwindet?
Ein einschneidendes politisches Erlebnis aus den letzten Jahren war für Nicole der Sturm auf das Kapitol in den USA im Jahr 2021. Für sie ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren. „Die Menschen in den USA glaubten an Verschwörungserzählungen und haben das Vertrauen in die Wahlen verloren. Sie waren der Meinung, für die Demokratie zu kämpfen, in Wirklichkeit handelten sie aber gegen ihren Kern“, erklärt sie.
Jede Stimme zählt – politisch mehr für die Demokratie tun
Nicole ist der Meinung, dass auch die deutsche Politik mehr dafür tun muss, um den Menschen zu zeigen, dass wirklich jede Stimme zählt und es sich lohnt, wählen zu gehen: „Politik muss vor allem ‚miterlebbar‘ sein: Die Menschen können und wollen sich beteiligen. Egal, ob es junge oder alte Bürger:innen sind, die im Internet oder auf der Straße für ihre Meinung mobilisieren. Mitmachen, Mitreden und Mitgestalten sind Herausforderung und Chance zugleich“, findet die Demokratieexpertin.
An die Urne mit euch: Junge Menschen zum Wählen motivieren
Mit ihrer Arbeit möchte Nicole dazu beitragen, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken und die Wahlbeteiligung in der Gesellschaft zu erhöhen. Zuletzt hat sie deshalb zum Beispiel im Rahmen eines Projekts des Instituts für Politik und Wirtschaft HAUS RISSEN, an dem sich die Bertelsmann Stiftung für die Berlinwahl 2023 beteiligte, Jugendliche zu Erstwahlprofis ausgebildet. Ziel war dabei, gerade junge Menschen abzuholen und für die Demokratie zu begeistern. Denn bei den 21- bis 24-Jährigen ist die Demokratieverdrossenheit laut Studien besonders hoch.
In der Studie „Mehr Koalition wagen – Halbzeitbilanz der Ampel-Koalition zur Umsetzung des Koalitionsvertrages 2021“ hat die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Universität Trier und dem Progressiven Zentrum die Arbeit der Ampel-Koalition genau unter die Lupe genommen. Darin erfährst du mehr über die Zielerreichungen der derzeitigen Regierung.