Teilen:

change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Jung und religiös: Der Glaube im Wandel

Drei junge Frauen stehen vor einem Tulpenfeld und reden vertieft miteinander.
Interview
Priscilla Du Preez – unsplash.com/license

Eine Generation auf der Sinnsuche: Wie ist es, jung und religiös zu sein?

  • Priscilla Du Preez – unsplash.com/license
  • 12. Dezember 2023

Immer mehr Menschen stellen konservative Glaubensvorstellungen infrage. Vor allem junge Menschen wenden sich zunehmend von Kirche und Gott ab. Sie beschäftigen sich stattdessen mit Spiritualität oder sagen von sich, dass sie gar keinen Glauben haben. Doch wie ist es, jung und trotzdem religiös zu sein? change hat nachgefragt.

Das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Religion ist im Wandel. Das haben wir bereits im ersten Teil unserer Serie über Glaube und Religion festgestellt. Dieser Wandel ist aber nicht nur durch Kirchenaustritte gekennzeichnet. Vielmehr finden immer mehr junge Menschen in Deutschland vielfältigere Wege des Glaubens und Ansätze, Religion neu zu denken und zu leben.
 

Judentum, Buddhismus, Islam: Drei junge Menschen erzählen

In unserem letzten Beitrag zu diesem Thema haben wir vor allem den Status quo in unserer Gesellschaft beleuchtet: Christliche und atheistische junge Menschen haben uns erzählt, wie sie zu den Themen Glaube und Religion stehen. Diesmal haben wir den jüdischen Venjamin, den praktizierenden Buddhisten Sebastian und die muslimische Farah gefragt: Was bedeuten Religion und Glaube für dich?
 


change | Was hat euch dazu gebracht, an Gott zu glauben? War es etwas Konkretes, das passiert ist, oder eine allgemeine Überzeugung? 

Sebastian | Im Buddhismus steht der Glaube an einen persönlichen Gott nicht im Vordergrund, daher glaube ich auch nicht an einen persönlichen Gott im traditionellen Sinne. Stattdessen folge ich den buddhistischen Lehren, die auf der Suche nach Erleuchtung und spiritueller Entwicklung basieren.

Venjamin | Ich bin in einem jüdischen Haushalt aufgewachsen. Aber es gab auch ein Ereignis, das mich in meinem Glauben bestärkt hat. Während einer Bar-Mizwa-Reise spielte mein Lieblingsfußballverein und verlor sehr hoch. An der Klagemauer habe ich dann für das Rückspiel gebetet. Es schien unmöglich, dieses Spiel noch zu gewinnen, aber es ist tatsächlich passiert.

Farah | Der Glaube an Gott ist für mich eine Mischung aus meinen eigenen Erfahrungen und dem, was mir meine Familie, vor allem meine Mutter, vorgelebt hat. Meine Mutter hat mir viel über unseren Glauben erzählt und ihn mir näher gebracht. Als Sunniten sind wir Teil einer großen Gemeinschaft, in der alle ihren Platz haben. Meine Familie hat mir beigebracht, mich für Frieden und gegen Gewalt einzusetzen. Es gab Zeiten, in denen mir das Beten geholfen hat, wenn es schwierig war.
 

„Ich glaube, dass durch die Religion viele zwischenmenschliche Beziehungen entstehen können. Ich habe viele Freund:innen, die einen anderen Glauben haben als ich. Der Austausch über Religion, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede hat uns schon früh verbunden.“

– Venjamin, 19 Jahre alt, Jude


Wie hilft euch der Glaube (an Gott) in eurem täglichen Leben? 

Sebastian | Der Glaube an die buddhistischen Lehren hilft mir, Achtsamkeit, Mitgefühl und inneren Frieden in meinem täglichen Leben zu kultivieren. Das beeinflusst meine Entscheidungsfindung positiv und hilft mir, Schwierigkeiten zu überwinden, indem ich sie als Teil des Lebensprozesses betrachte.

Venjamin | Ich bin mir sicher, dass Gott immer hinter mir steht. Selbst wenn ich gelegentlich eine falsche Entscheidung treffe, glaube ich, dass sie letztendlich zu einer richtigen führen wird. Der Glaube spielt auch in meinem Alltag eine wichtige Rolle. Ich versuche, jeden Tag zu beten, auch wenn es mir nicht immer gelingt, die traditionellen drei Gebete am Tag einzuhalten. Meine Familie ist nicht streng religiös, aber fast jeden Freitag kommen wir zusammen und feiern den Sabbat. Anders als streng religiöse Jüd:innen nutzen wir an diesem Tag aber trotzdem Strom und gehen arbeiten. Für uns geht es mehr um das Zusammenkommen.

Farah | Mein Glaube an Gott ist meine tägliche Motivation. Er hilft mir, Entscheidungen zu treffen, indem ich sie im Einklang mit meinem Glauben treffe. Wenn Herausforderungen auftauchen, gibt mir mein Glaube Hoffnung und Zuversicht, dass ich sie meistern kann.
 

Mehrere Hände mit unterschiedlicher Hautfarbe, die aufeinander gelegt sind.

Interreligiöser Dialog: Austausch auf Augenhöhe

Interreligiöser Dialog ist ein Prozess des offenen und respektvollen Austauschs zwischen Anhängern verschiedener Religionen. Ziel ist es, Verständnis, Toleranz und Zusammenarbeit zwischen den Religionsgemeinschaften zu fördern. Er ist insofern von Bedeutung, da er zur Überwindung religiöser Konflikte beiträgt, das Friedenspotenzial zwischen Kulturen und Religionen stärkt und gemeinsame Lösungen für gesellschaftliche und globale Herausforderungen ermöglicht.


Wie geht ihr damit um, wenn andere Menschen euren Glauben infrage stellen oder sogar kritisieren? 

Sebastian | Wenn Menschen meinen Glauben infrage stellen oder kritisieren, versuche ich, respektvoll zuzuhören und zu erklären, dass der Buddhismus eine persönliche Reise ist. Ich respektiere auch ihre Überzeugungen und suche nach Gemeinsamkeiten in unseren spirituellen Ansichten.

Venjamin | Ich finde das sehr gut und sehr wichtig. Im Judentum ist es üblich, die eigene Religion zu hinterfragen und nicht alles als gottgegeben hinzunehmen. Das ist etwas ganz Besonderes und Spannendes. Deshalb ist es auch völlig in Ordnung, wenn Menschen anderer Glaubensrichtungen mir Fragen stellen. Wichtig ist nur, dass man dabei immer respektvoll miteinander umgeht.

Farah | Wenn jemand meinen Glauben infrage stellt oder Kritik übt, versuche ich immer, höflich und respektvoll zu bleiben, auch wenn das manchmal schwerfällt, vor allem wenn ich Menschen begegne, die meinen Glauben mit den schlechten Taten anderer Menschen in Verbindung bringen. Ich versuche dann zu erklären, woran ich genau glaube und versuche auch, den Standpunkt der anderen zu verstehen. Aber es gibt auch Situationen, in denen die Offenheit und Toleranz, die ich aufbringe, mir nicht zurückgegeben wird, zum Beispiel wenn sich jemand negativ über meinen Hijab äußert. Das finde ich sehr schade.
 

„Der Glaube an die buddhistischen Lehren hilft mir, Achtsamkeit, Mitgefühl und inneren Frieden in meinem täglichen Leben zu kultivieren. Dies beeinflusst meine Entscheidungsfindung positiv und hilft mir, Schwierigkeiten zu überwinden, indem ich sie als Teil des Lebensprozesses betrachte.“

– Sebastian, 28 Jahre, Buddhist


Wie steht ihr zur Rolle von Religion in der Gesellschaft? Hat sie für euch eher positive oder eher negative Auswirkungen?

Sebastian | Die Rolle von Religion in der Gesellschaft kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Religion kann Menschen Trost, Gemeinschaft und moralische Orientierung bieten, aber sie kann auch zu Konflikten führen, wenn sie missbraucht wird. Wichtig ist, dass Religion mit Respekt vor Vielfalt und Toleranz behandelt wird.

Venjamin | Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt. Ich kann darauf keine eindeutige Antwort geben. Ich glaube, dass durch die Religion viele zwischenmenschliche Beziehungen entstehen können. Ich habe viele Freund:innen, die einen anderen Glauben haben als ich. Der Austausch über Religion, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede hat uns schon früh verbunden. Religion kann aber auch negative Auswirkungen haben und die Gesellschaft spalten.
 

„Ich glaube fest daran, dass offene Gespräche und gegenseitiger Respekt sehr wichtig sind. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen diese Ansicht teilen, weil ich glaube, dass wir alle davon profitieren würden.“

– Farah, 16 Jahre, Muslima


Farah | Religion kann meiner Meinung nach eine positive Kraft sein, wenn sie richtig eingesetzt wird, weil sie Menschen verbinden und uns ein moralisches Wertesystem lehren kannn. Für mich bedeutet Islam, gemeinsam unsere religiösen Feste zu feiern und denen zu helfen, die weniger haben. Manchmal wird Religion aber auch missbraucht, um negative Dinge zu rechtfertigen.
 

Eine Person mit orangen Klamotten sitzt auf dem Absatz eines Tempels

Deutschland feiert … Vesakh! Das Potpourri-Fest verschiedener Buddhismen


Spielen spirituelle oder philosophische Konzepte in eurer religiösen Praxis eine Rolle?

Sebastian | Ja, im Buddhismus gibt es Konzepte wie Karma, Wiedergeburt und das Streben nach dem Nirwana. Diese Konzepte spielen eine zentrale Rolle in meiner spirituellen Praxis und in meinem Verständnis des Universums.

Venjamin | Ich bin davon überzeugt, dass es ein System gibt, in dem gute und schlechte Taten gezählt werden und auf einen zurückwirken. Ich habe viel über solche Konzepte nachgedacht, bin aber noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung gekommen.

Farah | Ich glaube daran, dass unsere Taten Konsequenzen haben und dass Gutes auch Gutes bewirkt. Das mag nach Karma klingen, aber ich würde es nicht so nennen, weil es das im Islam nicht gibt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung beobachtet die wachsende religiöse Vielfalt unserer modernen Gesellschaft. Wir sind gespannt auf deine Überzeugungen und Gedanken zu diesem Thema! Schick uns einfach eine Nachricht an change@bertelsmann-stiftung.de. Die Einsendungen helfen uns, in zukünftigen Beiträgen neue Perspektiven zu beleuchten.