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Wlada Kolosowa: Freundschaft ist Altersvorsorge

Die Schriftstellerin und Journalistin Wlada Kolosowa
Essay
Pepper Levain

Die beste Altersvorsorge der Welt

  • Wlada Kolosowa
  • Pepper Levain
  • 10. Februar 2021

Was macht uns im Alter glücklich und zufrieden? Eins ist sicher, Geld allein ist es nicht. Schriftstellerin und Journalistin Wlada Kolosowa über eine Altersvorsorge, die kein:e Bankberater:in erwähnt.

Die Journalistin und Schriftstellerin Wlada Kolosowa

Wlada Kolosowa

… ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie studierte Publizistik in Berlin und Kreatives Schreiben in New York, unter anderem bei Jonathan Safran Foer und Zadie Smith. Sie arbeitet als Redakteurin im Magazine-Ressort von ZEIT ONLINE und schrieb als freie Autorin für DIE ZEIT, die Süddeutsche Zeitung und den Tagesspiegel. Ihr Roman „Fliegende Hunde“ ist im Ullstein Verlag erschienen.

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Ich bin 33. Ein Alter, in dem die Hausbank anfängt, Post mit folgender Betreffzeile zu schicken: „Zeit, an Ihre Altersvorsorge zu denken!“ Abends beim Bier reden Bekannte – selbst solche, die noch vor ein paar Jahren den Kapitalismus abschaffen wollten – über ETFs und Eigentumswohnungen. Die Essenz dieser Briefe und Gespräche: Wer im Alter nicht arm und unglücklich werden will, soll jetzt schon Weichen stellen.

Freundschaften sind die Altersvorsorge, die Bankkaufleute nicht erwähnen

Und natürlich ist da viel Wahres dran. Altersarmut ist eine Gefahr, erst recht in Zeiten, in denen der Generationenvertrag wackelt, erst recht für Frauen. An die andere Altersvorsorge, die mindestens genauso wichtig ist, erinnern Bankberater:innen jedoch nicht: Freundschaften.
 

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Diesen Essay hat Wlada Kolosowa für die Ausgabe 02/202 des change Magazins geschrieben. Dort warten noch weitere spannende Geschichten auf dich! Das aktuelle Heft findest du hier kostenlos zum Download.

Im Leben zählen Beziehungen zu anderen Menschen

Glücksforscher:innen sind sich oft uneins, was das Leben besser macht: Machen Kinder glücklich? Oder nur dann, wenn sie nicht zu viele Probleme bereiten? Ab welchem Einkommen hört Geld auf, zufriedener zu machen? Macht Ehe erfüllter oder neigen glückliche Menschen einfach eher dazu, sich das Jawort zu geben? Auf einen Faktor können sich aber alle Glücksforscher:innen einigen: Kaum etwas bedingt Lebenszufriedenheit so sehr wie ein gutes Verhältnis mit Freund:innen und Familie. Das ist auch das Ergebnis der wohl längsten Studie zu diesem Thema. Seit mehr als 80 Jahren begleiten Wissenschaftler:innen der Universitäten in Harvard und Stanford das Leben von mehr als 800 Menschen. Ihr Ergebnis: Nicht die soziale Klasse sagt am besten die Zufriedenheit im Alter voraus, nicht die Intelligenz, nicht die physische Fitness. Sondern wie gut man sich mit seinen Liebsten versteht. „Das Einzige, was im Leben wirklich zählt, sind die Beziehungen zu anderen Menschen“, resümiert der Direktor der Studie.

Die Schriftstellerin und Journalistin Wlada Kolosowa

„Freund:innen sind füreinander da, auch wenn sie kein Erbgut, kein Haus und kein Bett teilen. Nicht aus Gewohnheit. Nicht aus Bequemlichkeit. Sie sind füreinander da, weil sie sich immer wieder dafür entscheiden.“

Wlada Kolosowa


Und trotzdem setzt sich kaum jemand hin und macht sich Gedanken über Fragen wie „Welche Menschen werden mich durch das Leben begleiten?“ und „Was kann ich dafür tun, damit ich diese Personen unterwegs nicht verliere?“ Manche grübeln länger über die Auswahl der richtigen Couch – die soll ja schließlich zehn bis fünfzehn Jahre halten! – als über ihre Freundschaften.

Was ist mir in einer Freundschaft wichtig?

Bei der Wahl der Partnerin oder des Partners zerbrechen wir uns noch den Kopf, arbeiten an der Beziehung und lesen Ratgeber. Aber Freund:innen? Sie sind halt da. Und bleiben zwischen Kleinfamilie, Nestbau und Karriereplanung manchmal auf der Strecke. Hand aufs Herz, wann hast du dich das letzte Mal gefragt: Wie werde ich eine bessere Freundin oder Freund? Was ist mir in einer Freundschaft wichtig? Wie kann ich meine Freund:innen besser verstehen – und für sie da sein?

Hatice Schmidt und Matondo Castlo für #StopptKinderarmut

Hatice Schmidt und Matondo Castlo über eins der größten Probleme unserer Gesellschaft


Als die Corona-Pandemie kam, schien alles im Leben wackelig: Arbeitsplätze, Reisepläne, Zehnjahresfinanzplan. In dieser Welt, die plötzlich ihre Fragilität offenbarte, gab vor allem eines Stabilität: Menschen, die ans Telefon gingen, wenn man sie brauchte. Das können natürlich nicht nur Freund:innen sein, sondern Familie, Partner:innen, Vereinskolleg:innen, Kinder.

Freund:innen sind da, weil sie sich immer wieder dafür entscheiden

Ich will insbesondere eine Lanze dafür brechen, gut auf Freundschaften aufzupassen. Ich halte sie für eine der edelsten Formen des menschlichen Miteinanders: Denn Freund:innen sind füreinander da, auch wenn sie kein Erbgut, kein Haus und kein Bett teilen. Nicht aus Gewohnheit. Nicht aus Bequemlichkeit. Nicht, weil sie sich im anderen sehen. Sie sind füreinander da, weil sie sich immer wieder dafür entscheiden.
 

Zeitung "Good Newspaper" wird vor einem bunten Hintergrund gehalten

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Freundschaften brauchen Zeit und Raum

Dazu gehört aber auch, dass man Zeit für Freund:innen hat und sich mit ihnen auseinandersetzt. Das Leben also so einrichtet, dass sie Raum darin haben. Und nicht nur für ein oder zwei Aperol Spritz und ein Best-of des letzten Monats. Sondern auch mit ihrem Alltag, ihren Spleens, ihren Sorgen und den mittelspannenden Geschichten, die sie zum fünften Mal erzählen. In unserem durchgetakteten, auf Leistung getrimmten Leben taucht Raum für Freundschaften nicht von allein auf. Wie gut sie gedeihen, hängt auch von Lebensentscheidungen ab: Nehme ich den Prestige-Job mit der 60-Stunden-Woche? Ziehe ich für eine Stelle in eine andere Stadt? Fahre ich fürs lange Wochenende weg oder helfe ich dem Freund beim Renovieren? Diese kleinen und großen Entscheidungen haben Einfluss darauf, ob Beziehungen halten oder im Sande verlaufen. Oder wie man so schön im Sparkassendeutsch sagt: Zeit, an Ihre Altersvorsorge zu denken! Wer im Alter sicher aufgestellt sein möchte, darf es nicht dem Zufall überlassen.

Wlada Kolosowas Essay wurde zuerst im change Magazin 02/2020 veröffentlicht. Das Magazin der Bertelsmann Stiftung gibt es kostenlos zum Download und als PDF-Abo. Jetzt lesen!