Warum junge Menschen die besten Voraussetzungen haben, Fake News zu entlarven
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Lisa und Laura Goldfarb
- 29. Juni 2020
„Wir brauchen Streiter*innen für die Wahrheit, die auch ein bisschen unterhaltsam sein dürfen“, meinen Lisa und Laura Goldfarb. Warum das so wichtig ist? Lest ihr in ihrem Essay für change.
Lisa und Laura Goldfarb
… gehören zu den Newcomer*innen in der deutschsprachigen Kabarettszene. Die eineiigen Zwillinge besitzen eine klassische Schauspiel- und Tanzausbildung, haben zuletzt am Deutschen Theater Berlin in einer Franz-Kafka-Inszenierung von Andreas Kriegenburg gespielt und den „Jedermann“ bei den Gandersheimer Domfestspielen inszeniert. Ihr Kabarett-Debüt hatten sie 2017 als doppelte Sahra Wagenknecht beim Münchner Nockherberg-Derblecken in der Regie von Marcus Rosenmüller. Sie leben mit ihren Familien in Berlin.
Lisas und Lauras Webseite und YouTube-Kanal
„Wenn du Menschen die Wahrheit sagen willst“, sagte Oscar Wilde einmal, „dann bring sie zum Lachen. Sonst bringen sie dich um.“ Vielleicht hat das aber auch George Bernard Shaw gesagt. Oder Billy Wilder. Die Wahrheit ist da schwer herauszufinden, aber die Message ist klar: Wahrheiten sind unbequem. Wer sie ausspricht, sollte besser ein*e gute*r Entertainer*in sein. Sonst quält und langweilt man sein Publikum – eine schmerzhafte Erfahrung, die deutsche Politiker*innen schon sehr häufig machen mussten.
Am einfachsten ist es natürlich, unterhaltsam zu lügen, alternative Wahrheiten in eine gute Show zu verpacken. Ein gewisser Politiker hat damit auf der anderen Seite des Atlantiks gute Erfahrungen gemacht. Entertainer*innen ähnlicher Art stehen hierzulande bereits in den Startlöchern.
Die Wahrheit ist selten einfach
Ein großes Problem der Wahrheit ist ja, dass sie selten einfach ist. Die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge haben diese unangenehme Tendenz, komplex und ambivalent zu sein. Eine Pointe, die zündet, ist möglichst einfach und eindeutig, was manchmal auch mit einer gewissen Plumpheit einhergeht: Wie erkennt man, dass eine Frau im Weltall war? Der große Wagen ist verbogen. Da muss man nichts mehr erklären. Aber es ist auch nichts daran wahr. Große Künstler*innen interessieren sich oft nicht allzu sehr für die Wahrheit, schon Leonard Cohen hat gesungen: „I don’t give a damn about the truth, baby. Except for the naked truth. Oh yeah.“ Wirklich wahr.
Die Wahrheit ist in Gefahr
Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Wahrheit ist in Gefahr. Wer sollte sie aussprechen, wenn nicht wir Entertainer*innen? Die Kunst der Künstler*innen auf der Bühne ist also, zwei Dinge, die nicht zueinander passen, zusammenzubringen. Unsere nächsten Kollegen, die Priester, kennen sich damit bestens aus, sie machen das mit Mann und Frau seit Jahrhunderten bei Hochzeiten so. Übertragen auf uns: Willst du, Unterhaltung, die Wahrheit achten und ehren alle Tage deiner Bühnenpräsenz? Willst du, Wahrheit, der Unterhaltung vergeben und für sie sorgen, bis der Vorhang sich senkt? Dann seid ihr nun verbunden in guten wie in bösen Tagen.
Ja, die bösen Tage. In unserem Zeitalter ist jeder Tag ein böser Tag. Aber zu den Verhältnissen muss man sich verhalten: Wer Unterhaltung ohne Haltung bietet, ist auf Dauer unhaltbar. Unsere Meinung ist aber: Künstler*innen sollten sich mit ihrer Meinung zurückhalten. Wenn man jemandem die Meinung aufs Brot schmiert, hat man nachher ein Brot, das mit fremder Meinung vollgeschmiert ist – und hat keinen Platz mehr für die eigene.
Die Wahrheit hat oft mehrere Seiten
Deshalb möchten wir auf der Bühne möglichst aufrichtig sein und versuchen, alle Aspekte der Wahrheit zu beleuchten. Die Wahrheit hat oft mehrere Seiten, mindestens aber zwei, die sich in der Regel auch noch widersprechen. Zum Glück kennen wir uns als eineiige Zwillinge damit ganz gut aus. Wir haben dieselben Gene und widersprechen uns von morgens bis abends, manchmal auch von abends bis morgens.
„Wer Unterhaltung ohne Haltung bietet, ist auf Dauer unhaltbar.“
Lisa und Laura Goldfarb, Kabarettistinnen
Wir sind die wandelnde Dialektik, sind bipolar von Natur aus, wir würden jeden Therapeuten in den Wahnsinn treiben, wenn wir zu einem gehen würden. Trotzdem haben wir es leichter mit der Haltung und der Unterhaltung: Während eine die philosophischen Fragen stellt, kann die andere die Pointen liefern. Wir haben also einen gewissen inhaltlichen Vorteil, dafür müssen wir uns die Gage teilen, ganz ähnlich wie eine gewisse Doppelspitze in der Politik.
Die Wahrheit braucht Streiter*innen
Wir brauchen aber auch Einzelpersonen, bei denen zwei Seelen, ach, in ihrer Brust wohnen. Wir brauchen Streiter*innen für die Wahrheit, die auch ein bisschen unterhaltsam sein dürfen. Wir brauchen Entertainer*innen, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen. Ernst und Unterhaltung, diese beiden Dinge befinden sich normalerweise in unterschiedlichen Schubladen. Es gibt die E-Musik, also die ernsthafte, es gibt die U-Musik, also die unterhaltende, es gibt Kabarett und Comedy, das ist hierzulande säuberlich getrennt und soll tunlichst nicht vermischt werden.
Fügt man aber das U und das E zusammen, bekommt man ein „Ü“ wie Überraschung. Dafür muss man aber die Schubladen ganz aus der Kommode herausziehen, den jeweiligen Inhalt auf den Boden schütten und alles kräftig durchmischen. Was dabei herauskommt, passt dann hoffentlich in keine Schublade mehr.
Die Wahrheit ist in jeder Bubble eine eigene
Diese Schubladen, im besten Fall die ganze Kommode hinter sich zu lassen, könnte gerade der viel gescholtenen Generation WhatsApp-Instagram-YouTube gelingen. Sie kennt sich aus mit Entertainment. Durch das Internet geschult weiß sie, dass die Aufmerksamkeit weg ist, wenn man sich länger als eine halbe Sekunde langweilt. Und durch Social Media gestählt lernt sie gerade, dass jede Bubble ihre eigenen Wahrheiten produziert. Die Jungen haben die Voraussetzungen dafür, skeptisch und unterhaltsam zu sein. Aus ihnen könnten einmal Entertainer*innen mit Empathie werden, oder Politiker*innen mit Punchlines.
Was ist Wahrheit? Die Mehrheit der Deutschen bezweifelt, korrekte Nachrichten von manipulierten Inhalten unterscheiden zu können. Das fand eine Umfrage im Rahmen des 18. Salzburger Trilogs der Bertelsmann Stiftung heraus. Unser Ziel: starkes Vertrauen in Fakten und Wissen.