Teilen:

change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

So kann hybride Bildung an deutschen Schulen funktionieren

Ein Schild mit der Aufschrift "Love to learn".
Interview
Tim Mossholder – unsplash.com/license

Bildung neu denken: Läuft das deutsche Schulsystem bald hybrid, Jonathan Bork?

  • Tim Mossholder – unsplash.com/license
  • 16. Februar 2024

Was passiert, wenn Schüler:innen selbst entscheiden können, welche Fächer sie zu Hause und welche sie in der Schule lernen? Der zwölfjährige Jonathan Bork geht selbst noch zur Schule und fordert die bundesweite Einführung eines hybriden Schulsystems. change hat mit ihm über seine Idee gesprochen.

Das Wort „hybrid“ hört man meist im Zusammenhang mit Autos, die sowohl elektrisch als auch mit Kraftstoff betrieben werden können. Es bedeutet, dass zwei verschiedene Dinge auch zusammen funktionieren. Ein hybrides System fordert Jonathan Bork auch für die Schule: Er möchte, dass Schüler:innen selbst entscheiden können, ob sie sich die einzelnen Fächer im Selbststudium zu Hause aneignen oder ganz klassisch im Schulunterricht.
 

Porträt von Jonathan Bork

Jonathan Bork …

… sagt: „Ja, hybrides Lernen funktioniert!“ Er ist zwölf Jahre alt, hochbegabt und besucht die 9. Klasse eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen. Seine Lieblingsfächer sind Physik und Mathe. Während der Coronapandemie hat er entdeckt, welche Vorteile es für Schüler:innen bringt, wenn sie für bestimmte Fächer eigenständig zu Hause lernen können. Im März 2023 ist er mit seiner Idee an die Politik herangetreten – und hat damit für Furore gesorgt.

Mehr zu Jonathan Borks Idee auf seinem Blog, X, und Instagram


Stellung nehmen und Standpunkt beziehen

In seiner schriftlichen Stellungnahme, die Jonathan für die 16. Sitzung des Ausschusses für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen eingereicht hat, fordert er, dass Schüler:innen einen individuelleren Zugang zu Bildung erhalten. Was das genau bedeutet und wie dieses hybride Schulsystem seiner Meinung nach funktionieren kann, hat er uns im Interview erklärt.

change | Jonathan, du bist Schüler, zwölf Jahre alt und hast schon eine ganz klare Mission. Welche ist das?

Jonathan | Meine Mission ist es, die hybride Bildung in Regelschulen zu bringen. Das bedeutet, dass die Schüler:innen sich aussuchen können, welche Lerninhalte sie im Selbstlernmodell erarbeiten und welche sie in Präsenz in der Schule lernen.

Was genau ist passiert, nachdem du damals deine schriftliche Stellungnahme an den Ausschuss für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen geschickt hast? Wie war die Reaktion?

Ich war sehr überrascht, als ich meine Stellungnahme kurze Zeit später auf der Internetseite des Landkreises Nordrhein-Westfalen sah. Ich wurde dann auch zu der Sitzung eingeladen, konnte mein Anliegen platzieren und habe Kontakte mit Politiker:innen geknüpft. Das war der Startschuss für mein Engagement für die hybride Bildung. Seither spreche ich immer wieder auf verschiedenen Veranstaltungen und treffe Expert:innen und Politiker:innen.
 


Kannst du uns etwas mehr über dieses Konzept erzählen?

Hybride Bildung bedeutet, dass Schüler:innen die Fächer, in denen sie gut sind, von zu Hause lernen können. Das ist zum Beispiel über digitale Lernplattformen möglich, auf denen die Unterrichtsmaterialien hochgeladen werden. Dadurch können sich die Lehrer:innen im Präsenzunterricht besser auf die Schüler:innen konzentrieren, die in einem bestimmten Fach mehr Unterstützung brauchen. So können alle Schüler:innen nach ihrem Tempo lernen und werden individueller unterstützt – auch die Lehrkräfte werden dadurch entlastet.
 

„Das deutsche Schulsystem versucht sich derzeit in Integration. Das bedeutet aber, dass Kinder wie Puzzleteile in ein Puzzle gepresst werden, ob sie nun passen oder nicht. Mit hybrider Bildung könnte man jedes Puzzleteil einzeln betrachten und den passenden Platz in einem passenden Puzzle finden. So entsteht für jedes Kind eine individuelle Lernerfahrung. Das ist für mich der Unterschied zwischen Integration und Inklusion.“

Jonathan Bork, Schüler


Wie kam es dazu, dass hybride Bildung zu deiner persönlichen Mission geworden ist?

Während der Coronapandemie war ich, wie viele andere auch, im Distanzunterricht. Dann hieß es Anfang 2023, dass wir alle wieder komplett zum Präsenzunterricht zurückkehren müssen. Mir persönlich hat der Fernunterricht sehr viel gebracht, weil ich effizienter lernen konnte. Ich habe mir zum Beispiel Latein und Recherche selbst beigebracht. Ich habe also einen klaren Vorteil darin gesehen, dass ich mir bestimmte Inhalte selbst erarbeiten konnte. Andererseits gibt es auch Fächer, wie zum Beispiel Chemie, in denen man auf die Ressourcen der Schule angewiesen ist, um zu lernen. Da habe ich mir gedacht, dass es sinnvoll wäre, eine Mischung aus beidem zu ermöglichen. So bin ich auf die Idee der hybriden Bildung gekommen.
 

„Die Möglichkeit zur hybriden Bildung ist ein Fortschritt, denn wir brauchen in der heutigen Zeit andere Perspektiven für die Bildung.“

Jonathan Bork, Schüler

 

Gibt es bestimmte Gruppen von Schüler:innen, die davon besonders profitieren würden?

Ja, absolut. Kinder mit Neurodivergenzen wie Autismus, Hochbegabte oder Schüler:innen, die von Mobbing betroffen sind, zum Beispiel. Für sie ist ein ganzer Schultag im Klassenverband oft eine große Belastung. Sei es durch die Lautstärke, den Druck oder die Gruppendynamik. Hybrider Unterricht kann hier helfen. Auch wenn Kinder krankheitsbedingt fehlen, hätten sie sofort alle Unterrichtsmaterialien zur Hand und könnten ihre Hausaufgaben nacharbeiten.
 

Eine lächelnde, Schwarze junge Frau hält eine gelbe, aufgeschlagene Mappe in der Hand. Im Hintergrund sind Kinder im Grundschulalter an Schultischen zu erkennen.

Lehrer:innenmangel: Warum diese Lehrkräfte ihren Job trotzdem lieben


Auf deiner Website sagst du, dass hybride Bildung auch Inklusion und Chancengleichheit fördert. Kannst du uns erklären, warum das so ist?

Das deutsche Schulsystem versucht sich derzeit in Integration. Das bedeutet aber, dass Kinder wie Puzzleteile in ein Puzzle gepresst werden, ob sie nun passen oder nicht. Hybride Bildung würde es ermöglichen, jedes Puzzleteil einzeln zu betrachten und den passenden Platz in einem passenden Puzzle dafür zu finden. So könnte eine individuelle Lernerfahrung für jedes Kind entstehen. Das ist für mich der Unterschied zwischen Integration und Inklusion.

Was braucht eine Schule, damit sie hybride Bildung anbieten kann?

Sehr wichtig sind die sogenannten Study Halls. Dabei handelt es sich um Räume, die mit der notwendigen technischen Ausstattung für digitales Lernen ausgestattet sind. Sie ermöglichen es Schüler:innen mit einem längeren Schulweg oder einer körperlichen Beeinträchtigung, zwischendurch Selbstlernphasen zu absolvieren und anschließend wieder am Präsenzunterricht teilzunehmen. Studyhalls können aber auch der Schulhof, eine Turnhalle, also quasi alles sein.
 

Drei Schüler:innen unterwegs in der Schule

Schüler:innen packen aus: Das muss passieren, damit Schule noch besser wird


Ist denn so viel Selbstbestimmung und Eigenverantwortung schon gut in einem so jungen Alter?

Die bisherige Idee ist, den hybriden Unterricht ab der siebten Klasse anzubieten, da die Schüler:innen in diesem Alter schon erste Erfahrungen mit selbstständigem Lernen gesammelt haben und diese Eigenständigkeit weiter gefördert werden sollte. In Gesprächen mit einem Soziologen habe ich aber auch die Möglichkeit diskutiert, hybride Bildung schon in früheren Klassenstufen langsam einzuführen.

Würden die Schüler:innen dann auch selbstständig entscheiden, welche und wie viele Stunden sie im Selbstlernmodell erarbeiten können?

Grundsätzlich wird diese Entscheidung immer in Absprache mit den Eltern und den Lehrer:innen getroffen. Die Schule hat dabei das höchste Stimmrecht, da sie eine Beurteilung über die Leistungen des Kindes abgeben kann. Dazu ist vorgesehen, dass die Schüler:innen einen bestimmten Stundenumfang in Präsenz absolvieren müssen, damit diese Beurteilung weiterhin möglich bleibt.

Gibt es denn auch Kritik an deiner Idee? Und wenn ja, welche Art von Kritik gibt es und was entgegnest du ihr?

Kritik hilft mir persönlich sehr weiter. Sie zeigt mir, an welchen Stellen meine Idee noch nicht ganz ausgereift ist, und ermöglicht es mir, an diesen Stellen noch einmal nachzuarbeiten und das Konzept zu verbessern. Bei einem Gespräch mit der CDU im Schulausschuss Nordrhein-Westfalen war ein Kritikpunkt der Schulweg, also dass Kinder, die einen längeren Schulweg haben, nicht so einfach zwischendurch von zu Hause in das Selbstlernmodell wechseln können. So bin ich auf die Idee mit den Study Halls gekommen. Dann bin ich noch einmal auf die Leute zugegangen und habe ihnen meine Lösung vorgestellt.
 

Bob Blume vor einem neutralen Hintergrund.

Bildungsinfluencer Bob Blume: Wir brauchen junge Menschen, die etwas verändern wollen!


Du hast bereits mit verschiedensten Expert:innen und Menschen aus der Politik gesprochen. Was genau nimmst du aus solchen Gesprächen mit?

Was ich mitnehme, ist, dass die hybride Bildung bei sehr vielen Menschen gut ankommt. Ich bekomme viel Unterstützung und auch konstruktive Kritik, die mir weiterhilft. Ich bin sehr stolz darauf, wie weit meine Idee schon gekommen ist, und merke in solchen Gesprächen immer wieder, dass mein Anliegen sinnvoll und wichtig ist.

Wie geht es für dich weiter, was sind deine nächsten Ziele und was brauchst du noch, um deine Mission umzusetzen?

Eines der größten Hindernisse für Veränderungen im Bildungssystem in Deutschland ist, dass das Schulwesen Ländersache ist. Ich muss also in jedem Bundesland einzeln mit der Verwaltung sprechen, um meine Idee zu platzieren. Das kostet vor allem Zeit. Aber ich glaube, dass es am Ende allen hilft. Den einen vielleicht mehr, den anderen weniger. Die Möglichkeit der hybriden Ausbildung ist ein Fortschritt, denn wir brauchen in der heutigen Zeit andere Perspektiven für die Bildung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zu den Verbesserungsmöglichkeiten der Lernkultur an deutschen Schulen gibt es auf dem Blog Schule21 der Bertelsmann Stiftung. Was im deutschen Schulsystem falsch läuft, haben wir in der aktuellen PDF-Ausgabe des change Magazins gefragt und viele spannende Antworten erhalten – unter anderem von Jonathan Bork.