Was macht man als Opernsänger:in während der Pandemie?
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Nora Heinisch | noraheinisch.com
- 07. Juni 2021
Die Kunst- und Kulturszene leidet enorm unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Nicht nur, dass Tausende Menschen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können, die Schließung der Kulturstätten gefährdet auch die kulturelle Vielfalt. Doch es gibt Hoffnung.
Proben unter Corona-Bedingungen
„Mein letztes Konzert vor Publikum war am 18. Februar 2020 im Konzerthaus Berlin, Mascagnis ‚Iris‘“, erinnert sich David Oštrek. „Dann kamen die ersten Absagen. ‚Fidelio‘ in Baden-Baden unter Petrenko – abgesagt. Dann wurden im Sommer 2020 die Bregenzer Festspiele abgesagt, im Oktober ‚Salome‘ in Turin.“ In diesem Jahr sei trotz der Pandemiebeschränkungen jedoch schon viel passiert, denn einige Premieren fanden online im Livestream statt.
Proben mit Simon Rattle und Daniel Barenboim standen auf dem Plan. Für eine Premiere wird sechs Wochen hart gearbeitet. Jeden Tag müssen die Opernleute einen negativen PCR-Test vorweisen, vor Ort gilt Maskenpflicht. Nur beim Singen darf die Maske abgenommen werden. Mitte Mai begann schon die nächste Probe für die Puccini-Oper „La fanciulla del West“. David Oštrek hat gut zu tun.
Ohne Kunst und Kultur wird’s still
David Oštrek weiß, dass das nicht allen Kolleg:innen so geht. Ihm gehe es noch vergleichsweise gut, er wisse, dass er im Vergleich zu anderen Künstler:innen mit seinem Engagement an der Staatsoper sehr privilegiert ist. Gerade wer keine Festanstellung habe, müsse oft ans Ersparte, sei auf Corona-Soforthilfen angewiesen oder müsse kurzfristig umdisponieren. Klavierlehrer:innen wechseln zum Online-Unterricht, Veranstaltungsleute springen in anderen Jobs wie beispielsweise in Impfzentren ein. So schwierig es auch sei, dass Kunst und Kultur gerade stark leiden, David Oštrek gibt auch zu bedenken: „Wir haben eine globale Pandemie, Menschen sterben.“ Er sei froh, dass das Impfen jetzt zügig vorangeht und so immer mehr Menschen besser geschützt werden. Vielleicht kehre so bald wieder ein Stück Normalität ein, auch im Opernbetrieb.
Für viele seiner freischaffenden Kolleg:innen wird diese Normalität allerdings auch mit weiteren Lockerungen in der nahen Zukunft nur schwerlich erreichbar sein. Wie es nach der Pandemie weitergehen soll, ist für den ganzen Kulturbetrieb eine existenzielle Herausforderung. Was sich bereits jetzt deutlich abzeichnet: Viele werden wahrscheinlich nicht in den erlernten Beruf zurückkehren können. Die tatsächliche Misere ist bislang gesellschaftlich noch kaum sichtbar.
Livestream-Müdigkeit und Sehnsucht nach Publikum
„Die Oper ist keine Kneipe, ich denke, der Betrieb würde auch jetzt schon gut mit Publikum funktionieren“, gibt David Oštrek zu bedenken. Pilotprojekte am Berliner Ensemble und der Berliner Philharmonie haben genau das ausprobiert: Negativ getestete Besucher:innen konnten dort mit Abstand zwischen den Sitzplätzen in die Theater- und Konzertaufführung.
Die ausschließlichen Livestream-Veranstaltungen, die vor allem das Jahr 2020 dominiert haben, wird David Oštrek nicht vermissen. „Wir sind doch alle mittlerweile müde davon. Im letzten Jahr musste die Kulturszene schnell auf die neue Situation reagieren, alles Mögliche wurde gestreamt. Aber das kann den Besuch nicht auf Dauer ersetzen. Wirklich dabei sein, das ist ein ganz anderes Gefühl.“ Natürlich werden die Livestreams bleiben, sie waren auch schon vorher da. „Livestreams sind super, wenn man nicht nach Chicago reisen kann für eine Aufführung. Aber Oper braucht Zuschauer:innen.“
Junge Talente brauchen Förderung
David Oštrek ist seit der Spielzeit 2015/16 an der Staatsoper Unter den Linden. Zuerst für drei Jahre als Mitglied des Internationalen Opernstudios, das von der LMKMS gefördert wird, dann als festes Ensemblemitglied. 2015 nahm er am Gesangswettbewerb NEUE STIMMEN in Gütersloh teil; als er in die Auswahl der letzten 40 kam, wurde die Staatsoper Unter den Linden auf ihn aufmerksam. In Zeiten von Corona sind diese Talentwettbewerbe wichtiger denn je, und sie passen sich an die neuen Umstände an. Im Jahr 2020 fanden die NEUEN STIMMEN erstmals digital statt, Sänger:innen machten zusammen Musik über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg:
Optimistisch in den Sommer
„Ich schaue optimistisch in die Zukunft“, sagt David Oštrek am Ende unseres Gesprächs. Er freue sich, wenn man sich endlich wieder gegenseitig zur Begrüßung umarmen könne und er nicht nur für die Kamera singt. Vielleicht findet die Aufführung von „La fanciulla del West“ ja schon wieder vor Publikum statt. Es wäre der erste Liveapplaus des Jahres 2021 für ihn und seine Kolleg:innen – und dauert wahrscheinlich etwas länger als üblich.
Ist Opernsänger:in ein Beruf mit Zukunft? Welche Karriereaussichten Nachwuchssänger:innen in Deutschland haben, hat die Bertelsmann Stiftung in dieser Studie erforscht. Mit dem internationalen Gesangswettbewerb NEUE STIMMEN fördert die Bertelsmann Stiftung außerdem die Gesangstalente von morgen – hier reinhören! Du bist selbst ein Gesangstalent und möchtest an NEUE STIMMEN Wettbewerb 2021/22 teilnehmen? Dann bewirb dich jetzt noch bis zum 13. Juni 2021.