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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Kann künstliche Intelligenz kreativ sein?

Wassertropfen ergeben bunte Farben und Formen auf einem Fenster Jr Korpa – unsplash.com/license

Kann künstliche Intelligenz kreativ sein?

  • Jr Korpa – unsplash.com/license
  • 14. Mai 2021

Künstliche Intelligenz (KI) kann in wenigen Sekunden fast alle unsere Fragen beantworten, sie kann schreiben, malen und komponieren. Aber kann sie auch kreativ sein? Und worauf basiert menschliche Kreativität und Fantasie eigentlich? change hat nachgedacht.

Ella schreibt Kurzgeschichten und Artikel, außerdem ist sie Expertin für Content-Marketing. Das hier ist nicht der Anfang des Lebenslaufs einer Redakteurin namens Ella, sondern die Beschreibung einer KI-basierten Software, die als eine der ersten ihrer Art die Fähigkeit zu kreativer Arbeit haben soll.

Ist Ella kreativ?

Ella kann in kürzester Zeit Texte verschiedenster Art kreieren: von Infotexten über Produktbeschreibungen bis hin zu fiktionalen und journalistischen Texten. Damit das klappt, wurde Ella mit einer Vielzahl von Texten befüllt, mit Zeitungsartikeln, Produktbeschreibungen, Romanen. Je nach gewünschter Textart setzt Ella aus diesem Wissensschatz dann die passenden Wörter und die Textform zusammen. Sie macht also einen kreativen Prozess durch, denn Kreativität im weitesten Sinne bedeutet, etwas Neues aus bereits existierendem Wissen zu schaffen.
 

Eine Person trägt eine Virtual-Reality-Brille und greift mit der Hand in der Luft.

Ohne diese technischen Innovationen willst du nicht mehr leben


KI-Kunstprojekt „Memories of Passersby I“: Eine endlose Reihe sich ständig wandelnder Porträts

Ella ist nicht die einzige ihrer Art: Die von Microsoft und Elon Musk finanzierte KI GPT-3 kann beispielsweise twittern, philosophische Abhandlungen und sogar Drehbücher verfassen. Auch in anderen künstlerischen und kreativen Disziplinen wird bereits mit KI gearbeitet. So hat beispielsweise Mario Klingemann mit seinem Kunstprojekt „Memories of Passersby I“ eine KI erschaffen, die durch ein komplexes System aus neuralen Netzwerken auf einem Bildschirm eine endlose Reihe sich ständig verändernder Porträts von menschlichen Gesichtern kreiert. Ähnlich wie bei der KI Ella hat auch Klingemann seine KI mit Porträts von Menschen aus dem 18. und 19. Jahrhundert gefüttert, aus denen die KI dann neue, traumhaft und leicht verschwommen wirkende Porträts macht. Im Interview mit dem Auktionshaus Sotheby's gibt Klingemann allerdings einen wichtigen Punkt zu bedenken: Wenn wir jemanden auf einem Klavier spielen hören, würden wir dann das Klavier als Künstler:in bezeichnen oder die Person, die darauf spielt? Ähnlich verhält es sich mit kreativer KI: Ist die KI die Künstlerin oder die Person, die sie erschaffen, die also den Impuls gegeben hat?
 


Künstliche Intelligenz komponiert klassische Musik

Auch in die Musikproduktion hat KI bereits Einzug gehalten. So hat beispielsweise eine KI kürzlich Schuberts berühmte unvollendete Symphonie weiterkomponiert. Auch hierfür wurde die Software mit mehr als 90 Stücken von Schubert befüllt, mit denen sie den charakteristischen Klang nachahmen und so die unvollendete Symphonie über Berechnungen fertig komponieren konnte. Übrigens: Bereits 1956 hat ein Computer erstmals eine komplette Suite selbst komponiert, nämlich die sogenannte Illiac Suite, benannt nach ihrem Komponisten, einem 1,8 Tonnen schweren ILLIAC-I-Computer.

Mit KI vielleicht bald möglich: Ein Soundtrack für das eigene Leben

KI findet auch in anderen Musikrichtungen Anwendung. Die US-amerikanische Sängerin Taryn Southern hat zum Beispiel ihr Album „I AM AI“ fast vollständig von der KI-Software Amper komponieren lassen. Und das Berliner Start-up Melodrive entwickelt gerade eine KI, die sich über die Bewegungen der Hörer:innen an deren Stimmung anpassen kann. So soll die KI immer einen passenden Soundtrack für das echte Leben abspielen.
 


KI und Kreativität: Was ist eigentlich Fantasie?

Ob künstliche Intelligenz Kunst, Musik oder literarische Texte jemals aus eigenem Antrieb kreieren wird, ist ungewiss. Man kann argumentieren, dass die Kunst von KI nicht auf Fantasie und freiem Denken, sondern auf Steuerung und Berechnungen basiert. Aber was ist Fantasie eigentlich? Psycholog:innen zeigen ihren Patient:innen oft Bilder, die sie über freie Assoziation beschreiben sollen. Dieses Verfahren soll Aufschluss über die innere Verfassung der Patient:innen geben und darüber, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Die Patient:innen interpretieren diese Bilder also anhand von Dingen, die in ihrem Inneren „gespeichert“ sind, und geben ihnen so eine neue, eigene Bedeutung. Was ist Fantasie also anderes als innere Berechnungen, die sich aus Erfahrungen speisen, aus denen wir dann neue Erzählungen, Bilder oder Musikstücke erschaffen?

Das Projekt „Ethik der Algorithmen“ der Bertelsmann Stiftung setzt sich mit den gesellschaftlichen Folgen algorithmischer Entscheidungsfindung auseinander: Das gesellschaftlich Sinnvolle und nicht das technisch Mögliche muss Leitbild des digitalen Wandels sein.