Neun Dinge, die du noch nicht über Taiwan wusstest
-
Vernon Raineil - unsplash.com/license
- 12. März 2021
Taiwan, eine Insel mit heißen Quellen und Vulkanen mitten im stürmischen Chinesischen Meer. Warum Taiwan nicht nur durch dieses Meer vom Rest der Welt abgeschnitten ist, was China damit zu tun hat und wie das Land die Pandemie in den Griff bekommen hat – change erklärt’s.
Wie wird aus einer Diktatur eine Musterdemokratie? Taiwan macht’s vor: Im Jahr 1996 fanden in Taiwan die ersten direkten Präsidentschaftswahlen statt. Heute ist das Land ein weltweites Vorbild in Sachen Demokratie, Digitalisierung und Menschenrechte. Hier kommen noch andere Fakten, die dich vielleicht überraschen:
1. Der offizielle Name Taiwans lautet „Republik China“
Im chinesischen Bürgerkrieg von 1949 verlor die Regierung der Republik China gegen die Kommunist:innen um Mao Tse-tung. Die Armee und der ehemalige chinesische Präsident Chiang Kai-shek zogen sich nach Taiwan zurück. Kai-shek rief dort die Republik China aus. Unter dieser Regierung wurde aus Taiwan eine Diktatur, in der Andersdenkende verfolgt, ins Gefängnis geworfen oder umgebracht wurden. Als Maos chinesische Volksrepublik in den 1970er-Jahren auch weltpolitisch mehr Macht bekam, erkannten die USA die Volksrepublik an und nahmen diplomatische Beziehungen auf. Viele andere Länder folgten diesem Beispiel. Die Folge war, dass Peking forderte: Entweder wir oder die anderen. Staaten, die diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China unterhalten wollten, mussten alle Beziehungen mit Taiwan abbrechen. Weil sie sich von der Verbindung zum kommunistischen China mehr versprachen, kamen die meisten Staaten dieser Aufforderung nach. Taiwan, also die Republik China, geriet so in eine Art weltpolitische Isolation, die in Teilen bis heute andauert.
2. Hightech-Industrienation trotz Isolation
Obwohl der Inselstaat nur 35.801 km2 groß ist (was etwa der Fläche Baden-Württembergs entspricht), landet Taiwan auf Platz 21 unter den größten Volkswirtschaften der Welt. Seit seiner Isolation in den 1970er-Jahren erlebt das Land ein Wirtschaftswunder: erst mit der Produktion von Billigprodukten (die später aufs chinesische Festland verlegt wurde) und mittlerweile als einer der weltweit größten Produzenten von technischen Produkten wie Bildschirmen oder Motherboards.
3. Die Erde bebt in Taiwan bis zu 300 Mal im Jahr
Taiwan liegt innerhalb des sogenannten „Pazifischen Feuerrings“, einer der seismisch aktivsten Zonen der Erde. Die tektonischen Bewegungen, die hier unterirdisch nahezu permanent stattfinden, lassen den Boden der Insel regelmäßig beben. Einer der wichtigsten plattentektonischen Prozesse spielt sich ein paar Hundert Kilometer vor der Ostküste Taiwans ab: Die philippinische Erdplatte schiebt sich hier über die eurasische Platte. Dort entstehen immer wieder Seebeben, weshalb auch die Tsunamigefahr auf der Insel recht hoch ist.
4. Von dunstigen Regenwäldern zu eisbedeckten Gipfeln
Taiwan versammelt die unterschiedlichsten Klimazonen auf engstem Raum: Der höchste Berg der Insel, der Yushan (chinesisch 玉山, Jade-Berg), ist fast 4.000 Meter hoch. Außerdem gibt es vielerorts Rauchsäulen, Vulkane und heiße Quellen – für die übrigens auch die starke seismische Aktivität unterhalb der Insel verantwortlich ist. Zwei Drittel der Insel sind von Wäldern bedeckt, in den unteren küstennahen Zonen finden sich vor allem tropische Regenwälder und in höher gelegenen Gebieten wachsen Misch- und Nadelwälder. Ein Fünftel der Insel steht mittlerweile unter Naturschutz. Das macht sich seit einigen Jahren deutlich bemerkbar: Zahlreiche gefährdete Arten, von Vögeln und Schmetterlingen bis hin zu Formosa-Lachsen, kehren in ihre natürlichen Lebensräume zurück.
5. Taiwans Ureinwohner:innen
Obwohl Taiwan chinesisch geprägt und Mandarin die anerkannte Amtssprache ist, kamen die ersten Chines:innen erst vor etwa 400 Jahren auf die Insel. Davor war Taiwan von unterschiedlichen indigenen Gruppen bewohnt, wie beispielsweise von den Atayal. Mit der chinesischen Besiedelung wurden die Ureinwohner:innen verdrängt bzw. gezwungen, sich an die chinesische Kultur und Lebensweise anzupassen. Heute machen sie nur noch zwei Prozent der knapp 24 Millionen Einwohner:innen Taiwans aus. In den letzten Jahren gab es allerdings auch in der Beziehung zu den Ureinwohner:innen ein politisches Umdenken: 2016 entschuldigte sich die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen bei den Indigenen für „Leid und Unrecht“, das ihnen durch die Siedler:innen in den vergangenen 400 Jahren angetan wurde.
6. Asyl für Geflüchtete aus Hongkong
Nach den Protesten, die im Jahr 2019 gegen die China-nahe Regierung und für die Unabhängigkeit der Sonderverwaltungszone Hongkong stattfanden, drohten Aktivist:innen und Demonstrant:innen Repressionen und lange Gefängnisstrafen. Viele flüchteten nach Taiwan, um den Strafen zu entkommen. Obwohl es in Taiwan aus Angst vor der chinesischen Regierung kein offizielles Asylrecht für die Hongkonger Aktivist:innen gibt und sie in Taiwan auch nicht arbeiten oder studieren dürfen, werden sie im Land geduldet und von unterschiedlichen Initiativen unterstützt.
7. Eines der besten Gesundheitssysteme der Welt
Über die taiwanesische National Health Insurance sind mehr als 99 Prozent der Bevölkerung versichert. Für alle im Land lebenden Menschen, egal ob Ausländer:innen oder Taiwanes:innen selbst, gilt eine Versicherungspflicht. Kommt man der nicht nach, droht eine kleine Geldstrafe. Sich in Taiwan nicht versichern zu lassen, sollte aber kaum jemand anstreben: Neben Basisversorgungen übernimmt die nationale Krankenversicherung auch viele andere Kosten, von Schwangerschaftsvorsorge bis hin zu Behandlungen in traditioneller chinesischer Medizin. Dabei sind die Versicherungsbeiträge erstaunlich niedrig. So zahlt eine vierköpfige Familie nur etwa 75 US-Dollar pro Monat. Allerdings bleibt offen, wie lange sich das Gesundheitssystem auf diesem Standard halten kann: Taiwans Bevölkerung schrumpft und altert gleichzeitig sehr schnell. Schon heute ist fraglich, wer sich in einigen Jahren um die zahlreichen Pflegebedürftigen kümmern wird.
8. Wegbereiter in Sachen Digitalisierung und Demokratie
Aus der einstigen Diktatur entwickelt sich gerade eine Vorbildnation im Bereich „Digitale Demokratie“: Im Jahr 2017 erklärte die taiwanesische Regierung die Möglichkeit zu einem Internetzugang als grundlegendes Menschenrecht und verbesserte im gesamten Land den Zugang zum Breitbandnetz. Um Bürger:innen und Politiker:innen digital besser zu vernetzen, entwickelte Audrey Tang, Taiwans erste Digitalministerin, verschiedene Beteiligungsplattformen, auf denen sie miteinander reden können. Diese Plattformen haben auch geholfen, die Corona-Pandemie einzudämmen: Masken werden über eine spezielle App rationiert, sodass alle Zugang haben. Außerdem sammelt das Zentrum für Seuchenkontrolle Informationen von Expert:innen und Bürger:innen rund um das Virus und teilt sie täglich online und in öffentlichen Informationsveranstaltungen mit dem ganzen Land. Diese Maßnahmen scheinen zu wirken: In ganz Taiwan sind insgesamt erst acht Menschen an Covid-19 gestorben.
9. Taiwan veranstaltete die weltweit erste Frauenfußball-WM
Bevor 1991 die erste offizielle – von der FIFA unterstützte – Frauen-Weltmeisterschaft stattfand, wurde im Jahr 1981 in Taiwan mit dem Einladungsturnier „Woman’s World Invitation Tournament“ die erste inoffizielle Frauenfußball-Weltmeisterschaft ausgetragen. Weil es in Deutschland im Jahr 1981 noch keine weibliche Nationalmannschaft gab, wurde der deutsche Meister Bergisch Gladbach 09 nach Taiwan geschickt – allerdings ohne Unterstützung durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Die Reisekosten wurden von lokalen Sponsor:innen übernommen. Als Bergisch Gladbach 09 die Weltmeisterschaft in Taiwan gewann, verschlug es vielen DFB-Männern, wie zum Beispiel Paul Breitner, der bis dahin „Frauenfußball unästhetisch“ fand, die Sprache.
Was kann Europa von Taiwan lernen? Eine ganze Menge! Im Rahmen des Projekts „Demokratie und Partizipation in Europa“ der Bertelsmann Stiftung fand die Web-Diskussion „Digitale Demokratie“ statt, deren Ergebnisse hier nachgelesen werden können.