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change Magazin – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung

Kann KI in der Schule mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen?

Kinder spielen ausgelassen auf einem Schulhof. Im Vordergrund springen mehrere Kinder mit erhobenen Armen von Felsen, ihre Bewegungen sind verschwommen. Im Hintergrund sieht man ein Schulgebäude mit großen Fenstern und eine rote Kletterstruktur. Die Szene strahlt Energie und Freude aus. Sabina Paries

Künstliche Intelligenz im Schulunterricht: Was spricht dafür, was dagegen?

  • Sabina Paries
  • 06. September 2024

Es ist kaum mehr vorstellbar, aber einige deiner Lehrer:innen haben noch mit dem Rechenschieber Mathe gelernt und auf Kreidetafeln geschrieben. Es ist gar nicht so lange her, da waren Taschenrechner und Whiteboards die Symbole der digitalen Transformation an Schulen. Künstliche Intelligenz (KI) hat diese Entwicklungen in den Schatten gestellt – change hat sich angeschaut, was das bedeuten könnte.

„Zum Abschluss meines Abiturs möchte ich vor allem meinen Lehrer:innen, Eltern, Mitschüler:innen und ChatGPT danken.“ Werden so zukünftig die Abschlussreden klingen? Ein Ergebnis, mit dem wohl kaum jemand gerechnet hätte: ChatGPT besteht das bayerische Abitur - und das sogar mit einem Zweierschnitt. Eine Umfrage des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation zeigt, dass bereits 73 Prozent der befragten Schüler:innen generative KI für die Text- und/oder Bildgenerierung nutzen. Fakt ist: Künstliche Intelligenz begegnet uns allen im Alltag ständig und oft unbewusst in vielfältiger Weise, sei es beim Online-Shopping, durch Sprachassistenten, Autokorrektur, Chatbots oder weil wir in einem sogenannten „Smarthome“ leben. Aber sollte sie auch im Schulalltag eingesetzt werden?

Von wegen generisch: KI für mehr Individualität

Wie wäre es, wenn deine Lehrer:innen stets wüssten, wo deine Stärken und Schwächen liegen, und dir daran angepasst individuelle Aufgaben geben könnten? Das ist aktuell an wenigen Schulen Realität. Wegen fehlenden Personals können Lehrer:innen kaum auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen eingehen. An der Universität Ulm wird derzeit am Institut für Künstliche Intelligenz an KI-Methoden zur Individualisierung von Lernprozessen gearbeitet. KI kann Lehrkräfte zudem entlasten, indem sie Routineaufgaben wie das Korrigieren von Tests übernimmt, wodurch mehr Zeit für die individuelle Betreuung der Schüler:innen frei wird.
 


Verlernen Schüler:innen durch KI das eigene Denken?

Befürchtungen, Künstliche Intelligenz könne Schüler:innen verdummen, sind unbegründet. Neurobiologe Martin Korte von der TU Braunschweig behauptet sogar das Gegenteil: Laut dem Wissenschaftler kann KI ein wertvolles Lernwerkzeug sein, das kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten fördert, wenn sie richtig genutzt wird. Statt Informationen blind zu übernehmen, lernen die Schüler:innen, diese zu hinterfragen und aktiv zu nutzen. Durch den gezielten Einsatz von KI können sie komplexe Sachverhalte besser verstehen und eigene Ideen entwickeln. Bildungsexpert:innen empfehlen den Einsatz der Technologie jedoch erst ab der achten Klasse, damit Schüler:innen die Bildungsgrundlagen zunächst selbstständig lernen können.
 

Aufnahme von Anna-Lena von Hodenberg vor einem Holzzaun. Sie trägt einen strahlendblauen Mantel und schaut in die Kamera, die Hände locker in die Taschen gesteckt.

Warum müssen wir soziale Medien stärker regulieren, Anna-Lena von Hodenberg?


Schulunterricht 4.0: Wie gut sind Lehrkräfte vorbereitet?

Die Schüler:innen von heute sind Digital Natives, aber wie steht es eigentlich um die Digitalkompetenzen der Lehrer:innen? Gerade die älteren unter ihnen tun sich mit dem Internet manchmal schwer. Deshalb stellt sich die Frage: Wie sollen Lehrer:innen KI sinnvoll in den Unterricht integrieren, wenn sie selbst kaum Erfahrung damit haben? Das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zeigt aber auch: Zwei Drittel der Teilzeit-Lehrkräfte sind reformbereit im Bereich Digitalisierung.

Dieses Signal setzen auch die Kultusministerien beim Thema KI: In fast allen Bundesländern gibt es bereits Leitfäden, die Lehrer:innen zeigen, wie sie KI im Unterricht einsetzen können und wichtige Hinweise zur ethischen Verwendung bekommen. Was oft noch fehlt, sind die technischen Voraussetzungen und die Unterstützung, um Medienbildung fächerübergreifend in den Unterricht einzubinden.
 

Drei Schüler:innen sitzen an einem Tisch und schauen sich etwas auf dem Handy an.

Fünf Gründe, warum Medienkompetenz ein Pflichtfach an Schulen sein sollte


Lehrformate neu denken: Lebensnah statt langweilig

Wenn Schüler:innen dank KI nur noch zwei Minuten statt zwei Stunden für ihre Hausaufgaben brauchen, sollte man vielleicht eher die Art der Aufgabenstellung hinterfragen, als die Technologie zu verteufeln. Statt standardisierte Aufgaben zu vergeben, könnte KI Lehrer:innen dabei unterstützen, kreativere und herausforderndere Formate zu entwickeln, die kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten fördern. Diese Umgestaltung hin zu interaktiveren und relevanteren Lehrmethoden kann die Schüler:innen nicht nur dazu motivieren, tiefer in die Materie einzutauchen, sondern sie auch besser auf die Herausforderungen einer zunehmend digitalen Welt vorbereiten.
 

Drei Jugendliche schauen überrascht auf ihre Smartphones.

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Schulen im Auftrag der Aufklärungsarbeit

KI-Programme können in kürzester Zeit auf eine Fülle von Informationen zugreifen und komplexe Fragen beantworten, es besteht aber auch die Gefahr, dass sie ungenaue oder falsche Inhalte generieren. Das Projekt „DemoKI“ in Osnabrück geht hier mit positivem Beispiel voran und zeigt, wie Jugendliche für die Funktionsweise von KI sensibilisiert und darauf vorbereitet werden, Falsch- und Desinformationen im Internet kritisch zu hinterfragen. In Workshops lernen die Schüler:innen nicht nur, wie man Fake News erkennt, sondern beschäftigen sich auch aktiv mit KI-gestützten Projekten, um ein tiefes Verständnis für die Chancen und Herausforderungen dieser Technologien zu entwickeln. Solche Bildungsansätze sind entscheidend, um die Medienkompetenz der Schüler:innen zu fördern.
 

Zwei junge Frauen sitzen auf einem Sofa und schauen auf ihre Smartphones.

Positive Algorithmen: So kann Künstliche Intelligenz die Gesellschaft stärken


KI und Bildungsgerechtigkeit

In Bezug auf Bildungsgerechtigkeit hat KI zwei Gesichter: Durch maßgeschneiderte Lernangebote kann KI Schüler:innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen unterstützen und Barrieren abbauen. Das könnte insbesondere benachteiligten Gruppen zugutekommen und ihnen die Möglichkeit geben, ihr Potenzial zu entfalten. Andererseits besteht die Gefahr, dass der Zugang zu KI-Technologien ungleich verteilt ist. Beispielsweise können sich nicht alle den Zugang zu kostenpflichtigen KI-Tools leisten, was soziale Ungleichheiten verstärken könnte, insbesondere an Schulen mit begrenzten Ressourcen. KI hat das Potenzial, die Bildungsgerechtigkeit zu verbessern, aber nur, wenn die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.
 


Kann KI den Lehrkräftemangel bekämpfen?

Eine unschöne Prognose: Bis 2035 werden den Schulen zwischen 155.000 und 177.500 Lehrkräfte fehlen. Kann Künstliche Intelligenz diese Lücke schließen? Die Antwort ist ernüchternd: KI allein wird nicht ausreichen, um dieses Problem zu lösen. Laut der Zukunftsstudie von Münchner Kreis und Bertelsmann Stiftung glauben 53 Prozent der Expert:innen, dass die Lehre wahrscheinlich nie vollständig durch KI-System ersetzt werden kann, vor allem wegen technischer Hürden und fehlender Akzeptanz. 46 Prozent der Expert:innen rechnen allerdings damit, dass KI-Systeme bis 2029 die Grundlagenlehre übernehmen könnten, während komplexe Zusammenhänge weiterhin von Lehrer:innen vermittelt werden. Die wirtschaftlichen Folgen sehen sie positiv, die gesellschaftlichen aber eher negativ.

Bildungsreform: Jetzt den Lehrer:innenberuf attraktiver machen

Damit kann KI zwar einige Aufgaben übernehmen, etwa die Erledigung administrativer Aufgaben oder die Unterstützung des individuellen Lernens. Aber der Mangel an Lehrer:innen ist ein tiefgreifendes Problem, das mehr als nur technische Lösungen braucht. Bildungsexpert:innen fordern stattdessen eine Reform, um die Situation wirklich zu verbessern. Der demographische Wandel ist ein Grund dafür, dass es zu wenige Lehrer:innen gibt, doch der Lehr:innenberuf hat auch ein Attraktivitätsproblem. Es bräuchte flexiblere Studienangebote und eine stärkere Integration von Digitalisierung und KI, um das Lehramtsstudium interessanter und zeitgemäßer zu gestalten. Nach dem Studium gibt es für viele junge Lehrer:innen keine guten Karrierepfade, bisher wenig Möglichkeiten zu fächerübergreifenden Projekten und Teamarbeit und teils verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen. Warum es sich trotzdem lohnt Lehrer:in zu werden, verraten wir dir hier.

Es ist unvermeidlich, dass Schüler:innen mit Künstlicher Intelligenz konfrontiert werden. Daher ist es wichtig, dass Schulen den verantwortungsvollen Umgang mit KI vermitteln, aber auch die Zeit bekommen, sich auf die Veränderungen einzustellen. So können sie sicherstellen, dass die Programme sinnvoll eingesetzt und die Schüler:innen gut auf den Umgang mit den Herausforderungen und Grenzen der Technologie vorbereitet werden.

Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und die Diskussion um den Einsatz im Schulunterricht zeigen, wie wichtig es ist, dass sich Schulen auf neue Technologien einstellen. Initiativen wie die der Bertelsmann Stiftung zu diskriminierungsfreier und chancengerechter Bildung im Projekt „Schulische Bildung“ setzen sich dafür ein, dass dabei alle Schüler:innen die gleichen Chancen bekommen müssen, um sie bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten.