Kinderarmut stoppen: Worauf warten wir noch?
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Michał Parzuchowski
- 06. August 2020
Jedes fünfte Kind wächst in Deutschland in Armut auf – und daran hat sich seit Jahren nichts geändert. Skandalös? Das finden auch die Protagonist*innen der Initiative #StopptKinderarmut. Sie wollen das Thema aus der Tabuzone holen.
In Deutschland sind 2,8 Millionen Kinder von Armut betroffen. Die Zahl bleibt seit Jahren gleich hoch. Dabei ist Deutschland eines der reichsten Länder Europas – und der Politik ist das Problem Kinderarmut seit Langem bekannt. Trotzdem hat sich nichts verbessert. Eine neue Initiative will auf eines der größten Probleme aufmerksam machen, vor dem unsere Gesellschaft steht.
Arme Kinder wollen kein Mitleid, sie wollen ernst genommen werden
In Videos der Initiative #StopptKinderarmut schildern Betroffene, wie sie Armut erleben oder erlebt haben. Die zentrale Message: Ihr seid nicht allein, ihr habt keine Schuld an eurer Situation. Neben anonymisierten Kindern und Jugendlichen kommen auch Aktivistin Sarah-Lee Heinrich, Schauspieler Timur Ülker, Model Salih Yalin und YouTuber MrTrashpack zu Wort.
Armut ist ein Schamthema – und gerade deshalb ist es wichtig, darüber zu reden
Für Sarah-Lee Heinrich ist es wichtig, in der Öffentlichkeit über Armut zu sprechen. Sie selbst wuchs mit Hartz IV auf. „Es ist schwierig, darüber zu reden“, sagt sie in einem Interview, „Armut ist ein Schamthema, gerade für Kinder. Zwei Kinder in Armut können koexistieren und nichts von ihrer Gemeinsamkeit wissen. Ich dachte auch, dass ich alleine bin. Viele privilegiertere Leute wissen gar nicht, welche Hürden man überwinden muss und vor welchen Hürden man irgendwann stehen bleibt. Jetzt freue ich mich, wenn ich für diese Kinder eine Lobby sein kann.“
um nochmal zum wesentlichen zu kommen: https://t.co/U2Z9BXO9Cd
— sarah-lee (@saarahhnr) July 31, 2019
Sarah-Lee Heinrich ist ein Gesicht der Initiative #StopptKinderarmut. Seit Jahren setzt sie sich für mehr Gerechtigkeit ein. Ihr offener Brief im Vice-Magazin schlug 2018 hohe Wellen. Darin protestiert die damals 17-Jährige gegen vererbte Armut.
Kinderarmut bedeutet nicht nur, dass Geld fehlt
Viele Dinge, die für Gleichaltrige ohne dauerhafte Geldsorgen normal sind, fehlen armen Kindern: Kinobesuche, Urlaub, Wochenendausflüge, neue Klamotten, Freund*innen zum Essen einladen. Doch es sind nicht nur Dinge, die man mit Geld kaufen kann. Kinder in Armut müssen auf viel mehr verzichten. Denn die finanzielle Benachteiligung ist immer auch eine soziale. Kindern und Jugendlichen in Armut fehlt der Raum, sich zu entfalten, ihnen fehlen gute Bildungschancen und Möglichkeiten, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Ein Leben am Existenzminimum bedeutet Unsicherheit, Angst und Abhängigkeit in allen Bereichen – und das in der prägendsten Entwicklungsphase des Lebens.
Wie kann man Kinderarmut bekämpfen?
Expert*innen fordern schon lange, arme Kinder und Jugendliche durch ein sogenanntes Teilhabegeld bzw. eine Kindergrundsicherung zu unterstützen. 1,87 Millionen Kinder leben in Haushalten, die „Leistungen nach SGB II“ beziehen, also meist Hartz IV. Am Ende des Geldes ist für die meisten von ihnen noch sehr viel Monat übrig.
Neben finanzieller Unterstützung braucht es auch Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, in denen sie unterstützt und beraten werden. Außerdem sollten Kinder und Jugendliche selbst dazu befragt werden, was sie brauchen, um glücklich aufwachsen zu können. Die Kinderarmut ohne dieses Wissen bekämpfen zu wollen, dürfte wenig Wirkung zeigen.
1,87 Millionen Kinder leben in Haushalten, die Hartz IV beziehen. Am Ende des Geldes ist für die meisten von ihnen noch sehr viel Monat übrig.
Corona verschärft Kinderarmut
Die Corona-Krise trifft arme Kinder und Jugendliche besonders hart. Ihre Eltern haben oft Teilzeit- oder Minijobs und gehören somit zu der Gruppe, deren Mitglieder als Erste eine Kündigung erhalten. Selbst wer den Job behalten kann, bekommt nur wenig oder gar kein Kurzarbeitergeld. In dieser Extremsituation sollen dann noch Homeschooling und Freizeitgestaltung gemeistert werden. Eine fast unmögliche Aufgabe. Vor allem, wenn man bedenkt, dass 24 Prozent der Familien mit Hartz IV nicht mal einen internetfähigen Computer haben.
Von Kinderarmut Betroffenen eine Stimme geben
Vielen Menschen ist das Ausmaß von Kinderarmut nicht bewusst. Ein Grund dafür ist, dass das Thema totgeschwiegen wird. Betroffene sprechen oft aus Angst und Scham nicht über ihre Situation. Die Initiative #StopptKinderarmut will dazu beitragen, das zu ändern und Betroffenen eine Stimme geben. Kinder und Jugendliche bekommen endlich die Möglichkeit, offen über das Thema zu sprechen. Und nicht nur das: Auf der Website der Initiative finden sich auch konkrete Hilfsangebote und viele weiterführende Infos.
Wann wird die Politik endlich handeln? Im Rahmen des Projekts „Familie und Bildung: Politik vom Kind aus denken“ entstand die Initiative #StopptKinderarmut. Gemeinsam mit dem MESH Collective sagt die Bertelsmann Stiftung: Stoppt Kinderarmut jetzt!