Warum wir bei New Work viel mehr wagen sollten
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Tom Wagner
- 10. Juni 2022
Mit ihrem Kollegen und Freund Boontham Temaismithi teilt sich Fränzi Kühne die Position des Chief Digital Officers der edding AG. Warum solche Tandem-Besetzungen vielen Unternehmen guttun könnten und warum wir unsere Konzepte von Arbeit neu denken müssen, erklärt sie in ihrem Essay für change.
„Mit Mut zu Experimenten schaffen wir Erfolgsgeschichten“, schreibt Fränzi Kühne. Am Anfang der Erfolgsgeschichten steht also Veränderung. Und wo sonst ist Veränderung so präsent wie in unserer Arbeitswelt?
Fränzi Kühne ...
... ist Gründerin, Aufsichtsrätin und seit März 2022 zusammen mit
Boontham Temaismithi Tandem-Vorständin der edding AG. Sie engagiert
sich als Stiftungsrätin der AllBright-Stiftung für mehr Frauen und Diversität
in Führungspositionen und gibt als Speakerin und Autorin Impulse zu den
Themen New Work, Digitalisierung und Unternehmer:innentum.
Fränzi Kühne auf Instagram und LinkedIn
Am Anfang steht die Veränderung
Veränderung braucht Pioniere: 2018 begann der Softwarekonzern SAP, Managementpositionen explizit so auszuschreiben, dass sie von zwei Führungskräften als Team besetzt werden können. Auch bei Konzernen wie Daimler, Unilever oder Beiersdorf ist es möglich, Führungsstellen als Job-Sharing-Team auszuführen. Was als Teil der „New Work“-Diskussion um die Zukunft und die Veränderung der Arbeit theoretisch diskutiert wird, wird hier praktisch erfahrbar. Das Dogma des Vollzeitjobs löst sich auf, die individuelle Teilzeit verliert ihr Karrierekiller-Image, und die Work-Life Balance der Führungskräfte wird verbessert.
Job-Sharing ist für alle Beteiligten ein Gewinn
Jeweils abhängig von der konkreten Ausprägung wird auch das autoritäre Führungsmodell vergangener Jahre hinterfragt. Hier wird „New Work“ also gelebt – und dennoch ist Job-Sharing bislang eine Randerscheinung in deutschen Unternehmen. Das ist schade, denn das Konzept hat nicht nur das Potenzial, den etwas auf der Stelle tretenden New-Work-Diskurs um konkrete Praxiserfahrungen zu bereichern. Job-Sharing ist für alle Beteiligten ein Gewinn. Es geht dabei um mehr als nur um „Teilzeit auf Managementebene“. Job-Sharing bringt unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven in eine Position.
Gemeinsame Verantwortung macht krisenfester
Gerade in Zeiten neuer Herausforderungen führt eine solche Vielfalt häufig zu besseren und mutigeren Lösungen. Die geteilte Verantwortung macht krisenfester, der gemeinsame Erfahrungsschatz hält Wissen im Unternehmen, geteilte Führungsverantwortung hält Strukturen schlank. Ob als langfristig angelegtes Konstrukt oder als temporäre Lösung im Rahmen einer Nachfolgeregelung: Job-Sharing fördert Austausch und erweitert so die Möglichkeiten einzelner Führungskräfte.
Tandem-Besetzung: Positive Aspekte überwiegen die Kosten
Wie so viele gewinnbringende Veränderungen erfordert Job-Sharing zunächst Investitionen. Wie bei so vielen gewinnbringenden Veränderungen liegt darin wohl auch die Scheu vor der breiteren Anwendung. So wird eine Job-Sharing-Stelle nicht einfach halbiert, da gemeinsame Abstimmungs- und Austauschräume für die Teilenden geschaffen werden müssen. Auch das Recruiting wird anspruchsvoller: Es müssen gleich zwei Menschen gefunden werden, die außerdem noch zueinander passen sollen. Bei der erstmaligen Einführung von Job-Sharing-Stellen ist es außerdem ratsam, die Beteiligten zu schulen. Das sind Aufwände, die zunächst nur teurer erscheinen als ein „Never change a running system“. Doch während sich die Kosten addieren, multiplizieren sich die positiven Effekte. Davon bin nicht nur ich überzeugt, sondern auch mein Freund und Kollege Boontham Temaismithi sowie der CEO der edding AG, Per Ledermann.
„Karriere braucht nicht unbedingt Vollzeit, die Bedürfnisse der Menschen sind wichtiger als traditionelle Dogmen, Austausch geht über Hierarchie, und Veränderung ist möglich und erwünscht.“
– Fränzi Kühne
Seit März 2022 besetzen Boontham und ich die Position des Chief Digital Officers des Unternehmens. Es ist für alle Beteiligten ein Experiment, doch wir sind voll Zuversicht. „Letztendlich ist die Sache ganz einfach“, erzählte unser neuer Chef kürzlich im Interview: „Wir haben zwei großartige Leute für uns gewonnen, die ohne das Tandem-Modell nicht gekommen wären.“ Für Per überwiegt klar der Vorteil, zwei Erfahrungsschätze zum Preis von, nun gut, etwas mehr als einem zu bekommen. Darüber hinaus sollte auch die Signalwirkung ins Unternehmen nicht unterschätzt werden: Karriere braucht nicht unbedingt Vollzeit, die Bedürfnisse der Menschen sind wichtiger als traditionelle Dogmen, Austausch geht über Hierarchie, und Veränderung ist möglich und erwünscht.
Die Zukunft der Arbeit braucht langfristig mehr als Krisenlösungen
Ich bin ein durch und durch optimistischer Mensch, aber natürlich kann all dies auch schiefgehen. SAP wagte 2019 zwar das Co-CEO-Experiment, doch nach wenigen Monaten trennte sich der Konzern von Jennifer Morgan und macht Christian Klein zum alleinigen Chef. Die beginnende Corona-Krise, so hieß es, würde „eine starke, eindeutige Führungsverantwortung“ erfordern. Mir erscheint das absurd und etwas hasenfüßig. Gerade die Corona-Krise, deren Einschränkungen zu einem erstaunlichen Digitalisierungsschub führten, hätte in meinen Augen die Gelegenheit geboten, die Doppelspitze zum Erfolg zu machen.
Viel hat sich in den letzten zwei Jahren verändert, viele einzelne Aspekte des „New Work“ sind Teil des Arbeitsalltags geworden. Die Zukunft der Arbeit braucht jedoch langfristig mehr als Krisenlösungen. Mit Mut zum Experiment schaffen wir Erfolgsgeschichten. Und die Freude darüber wird größer, wenn man sie teilt.
Fränzi Kühnes Essay ist zuerst im change Magazin 1/2022 erschienen. Das Magazin der Bertelsmann Stiftung gibt‘s kostenlos zum Download. Jetzt lesen!