Was ist eigentlich Soziale Marktwirtschaft?
-
Pop & Zebra – unsplash.com/license
- 14. April 2022
Den Begriff Soziale Marktwirtschaft verbindest du nur mit langweiligem Sozialkundeunterricht in der Schule? Ab jetzt nicht mehr. change gibt dir ein Update zur Sozialen Marktwirtschaft und zeigt, wie sie die deutsche Gesellschaft seit den 1950er-Jahren prägt.
Seit der frühen Nachkriegszeit ist die Bundesrepublik Deutschland eine Soziale Marktwirtschaft. Das Wirtschaftssystem wurde von dem Politiker und Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Erhard entwickelt. Sein Versprechen: Wohlstand für alle! Was ist davon übrig geblieben?
Worauf beruht die Soziale Marktwirtschaft?
Die Soziale Marktwirtschaft beruht einerseits auf Wettbewerb zwischen einzelnen Unternehmen und bestimmten Freiheitsrechten, wie dem Recht auf Privateigentum oder freie wirtschaftliche Betätigung. Andererseits setzt sie auf die Absicherung durch Sozialsysteme, die die Menschen im Falle einer Krise, einer Krankheit oder eines Jobverlusts auffangen.
Die Soziale Marktwirtschaft gibt der reinen Marktwirtschaft ein menschliches Gesicht
Das Ziel der Sozialen Marktwirtschaft ist eine Gesellschaft, die größtmöglichen Wohlstand für alle bietet – und das bei bestmöglicher sozialer Absicherung. Sie soll der reinen Marktwirtschaft ein menschliches Gesicht geben. Gleichzeitig macht sie ein Wohlstandsversprechen, wonach jede:r den sozialen Aufstieg schaffen kann, wenn sie oder er sich genug anstrengt. Während des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er-Jahren mag das richtig gewesen sein, aber kann dieses Versprechen heute noch eingelöst werden? Diese Frage und viele mehr werden in dem Dokumentarfilm „Germanomics“ diskutiert, der im Auftrag der Bertelsmann Stiftung entstand:
Wenige große Unternehmen teilen die Marktmacht unter sich auf
Die Welt von heute sieht radikal anders aus als in der Anfangszeit der Sozialen Marktwirtschaft. Globalisierung und Digitalisierung haben viele Länder erfasst. Diese Veränderungen haben auch vor der deutschen Wirtschaft nicht haltgemacht und machen einen weltweiten Trend sichtbar: Große Unternehmen setzen sich auf vielen Gebieten von kleinen und mittleren Betrieben ab. Mittelständler sind in vielen Fällen nicht so anpassungsfähig wie die Großen und verlieren immer mehr von der Innovationskraft, die sie einmal hatten. Das ist eine Gefahr für die Soziale Marktwirtschaft, weil die meisten Menschen in Deutschland bei mittelständischen Unternehmen beschäftigt sind. Gleichzeitig wird unsere Gesellschaft immer älter und unsere natürlichen Ressourcen werden immer knapper. All das sind Entwicklungen, die die Soziale Marktwirtschaft unter Druck setzen und neue Antworten verlangen.
Gilt das Aufstiegsversprechen noch?
Lange dachten zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler:innen, dass größerer Wohlstand bei den Vermögenden dazu führe, dass es auch den Ärmeren mit der Zeit besser ginge. Der Wohlstand würde bei den unteren Einkommensschichten wachsen, wenn durch den Konsum und die Investitionen der Reichsten der Gesellschaft der Wohlstand nach unten „durchrieseln“ würde. Sie nannten das den Trickle-down-Effekt. Doch der scheint sich nicht so recht einzustellen, denn vor allem der Motor Aufstieg durch Arbeit ist erlahmt. In keinem anderen europäischen Land mit ähnlicher Wirtschaftsleistung ist der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren so stark gewachsen und heute so groß wie in Deutschland. Ein Aufstieg aus dem Niedriglohnsektor gelingt nur 25 Prozent der Beschäftigten.
Menschen mit kleinen Einkommen werden durch Sozialabgaben stark belastet
Die Soziale Marktwirtschaft scheint also gar nicht mehr so sozial zu sein, wie ihr Name vermuten lässt. Aber haben wir nicht zumindest noch unser sicheres soziales Netz, das uns auffängt? Gerade hier liegt ein weiteres Problem, für welches dringend Lösungen gefunden werden müssen. Denn die Sozialabgaben, die uns schützen sollen, sind für viele Menschen eine große Belastung. Eine Studie der OECD hat ergeben, dass bei alleinstehenden Menschen in Deutschland im Schnitt 38,9 Prozent des Lohns in Steuern und Sozialabgaben fließen. Zum Vergleich: Der europäische Durchschnitt liegt bei 24,9 Prozent. Auch Familien, die doppelt verdienen, müssen mit fast 30 Prozent Abgaben und Steuern viel zahlen. Gerade Menschen mit kleinen Einkommen belasten diese Zahlungen stark, ihnen bleibt oft nur wenig zum Leben übrig.
Die Soziale Marktwirtschaft muss neu gedacht werden
Damit man weiterhin von Deutschland als Sozialer Marktwirtschaft sprechen kann, braucht es also ein Umdenken. Die Politik muss dafür sorgen, dass Innovationen und Wachstum wieder in der Breite der Gesellschaft ankommen. Wie das gelingen kann, haben Expert:innen der Bertelsmann Stiftung in einer „Agenda für Produktivität und Teilhabe“ formuliert. Ihr Titel kann gleichzeitig als Leitspruch einer neuen Sozialen Marktwirtschaft verstanden werden: „Wie wir aus weniger mehr für alle machen“.
Damit „Wachstum für alle“ keine leere Phrase bleibt, setzt sich die Bertelsmann Stiftung mit dem Projekt „Produktivität für Inklusives Wachstum“ für eine Wirtschaftspolitik ein, die Fortschritt in alle Regionen Deutschlands bringt. Zum Blog des Projekts geht’s hier.