Schlaganfall – und dann? Wie Manuel zu einem der glücklichsten Menschen der Welt wurde
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- 28. Februar 2019
Schlaganfall, jede Minute zählt: Rund 270.000 Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr die lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankung. Manuel Gebhard ist einer von ihnen. Nach der Schockdiagnose machten ihm die Ärzt*innen nicht viel Hoffnung. Doch heute beschreibt er sich als einen der glücklichsten Menschen der Welt. change sprach mit ihm über das Leben nach dem Schlaganfall und seinen großen Traum, den er sich endlich erfüllen konnte.
Manuel Gebhard
… hatte mit zwölf einen Schlaganfall, der sein Leben radikal veränderte. Heute zählt er sich selbst zu den glücklichsten Menschen der Welt. Der Schwabe arbeitet als Zugbegleiter – ein lang gehegter Wunsch, den er sich nach viel Arbeit endlich erfüllen konnte.
change | Manuel, du hattest als Kind einen Schlaganfall – und bist dem Tod von der Schippe gesprungen. Was ist passiert?
Das geschah beim Schwimmunterricht in der 6. Klasse, ich war gerade zwölf Jahre alt. Als ich aus dem Becken gestiegen bin, fiel ich um. Ich wusste gar nicht, wie mir geschieht, ich war auch noch bei vollem Bewusstsein. Als der Krankenwagen kam, wurde ich bewusstlos und bin erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Erst einen Tag später haben die Ärzt*innen herausgefunden, dass ich einen Schlaganfall hatte. Ich konnte mich weder bewegen noch sprechen. Die Ärzt*innen haben meinen Vater sogar gefragt, ob sie die lebenserhaltenden Geräte abschalten sollen.
Das war 2002. Mittlerweile hat sich viel getan. Es gibt über 300 zertifizierte Stroke Units, in denen akute Schlaganfälle behandelt und Patient*innen auch noch danach betreut werden. Wäre deine Diagnose früher gekommen, wären die Folgen wahrscheinlich nicht so schwerwiegend gewesen. Was hat dich motiviert, weiterzukämpfen?
Seit ich klein bin, spielt die Eisenbahn in meinem Leben eine große Rolle. Mein Vater wusste das natürlich, also hat er ein großes Bild meiner Lieblingslok in meinem Krankenzimmer aufgehängt. Als ich am nächsten Morgen aufwachte und die Lok sah, wusste ich: Ich muss kämpfen, ich muss auf die Lok gehen. Dafür muss ich wieder laufen und sprechen können. Das war meine Motivation, nicht aufzugeben.
Wie lange hat es gedauert, bis du dich wieder bewegen und sprechen konntest?
Ein gutes halbes Jahr. Gerade die erste Zeit nach dem Schlaganfall muss man richtig nutzen, um wieder fit zu werden. Da kommt am meisten zurück. Man braucht aber auch viel Training, und es geht nur in kleinen Schritten voran. Ich wusste, was ich sagen wollte, aber es kam nichts raus. Bis ich wieder Vokale richtig aussprechen konnte – das war eine Anstrengung, die ich heute wahrscheinlich nicht mehr schaffen würde. Als ich dann wieder richtig sprechen konnte, war das wie eine zweite Geburt.
Was ist ein Schlaganfall?
„Schlaganfall“ ist keine einheitliche Erkrankung, sondern ein Begriff, der für viele unterschiedliche Erkrankungen verwendet wird. Je nach Ursache sprechen Ärzt*innen von verschiedenen Formen, von denen die zwei häufigsten „Hirnblutung“ und „Hirninfarkt“ sind. Bei einer Hirnblutung (auch: hämorrhagischer Schlaganfall) platzt ein Gefäß im Hirn, sodass bestimmte Areale nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. Dabei kann die Blutung im Gehirn oder zwischen den Hirnhäuten stattfinden. Der Hirninfarkt (auch: ischämischer Schlaganfall) hingegen entsteht durch einen Gefäßverschluss. Entweder wird eine Arterie durch Blutpfropfen verstopft oder eine Hirnarterie durch Gefäßverkalkung. Beides verursacht, dass bestimmte Areale nicht mehr genügend durchblutet werden.
Dadurch entstehen Störungen oder sogar Ausfälle von Körperfunktionen, was häufig zu bleibenden Schäden führt. Obwohl die Todesrate bei Schlaganfällen sich in Deutschland in den letzten 25 Jahren halbiert hat, bleiben Schlaganfälle eine häufige Todesursache.
Quelle: www.schlaganfall-hilfe.de
Der Weg zu deinem Traumjob war sicherlich nicht einfach.
Seit ich drei bin, wollte ich Lokführer werden. Daran hat sich auch nichts geändert. Doch für den Job muss man fit sein wie bei der Bundeswehr, die Einstellungskriterien sind streng. Auf die Lok habe ich es aber trotzdem geschafft: Heute arbeite ich als Zugbegleiter und freue mich meines Lebens.
Passiert es, dass du im Beruf auf deine Behinderung angesprochen wirst? Wie gehst du damit um?
Wer sich ein wenig mit Schlaganfällen auskennt, der sieht, dass ich betroffen bin. Aber ich bin da sehr offen und erzähle meine Geschichte. Da kriegen die Leute natürlich große Augen und sind beeindruckt, dass ich an meinem Berufswunsch und meiner Motivation festhalte.
Der Schlaganfall hat auch meine Sicht der Dinge generell verändert: Wenn sich andere vielleicht ärgern, dass sie um drei Uhr morgens zur Frühschicht aufstehen müssen, frage ich mich voller Vorfreude: Wo fahren wir heute hin? Wenn ich aufstehen kann und soweit gesund bin, dass ich zur Arbeit gehen kann, ist das schon ein gelungener Tag. Ich bin viel lockerer geworden und rege mich nicht mehr wegen Kleinigkeiten auf. Weil ich das Leben zu schätzen weiß.
Und du hast auch viel erreicht.
In mir schlummert zwar noch immer der kleine Eisenbahner, der den Traum hat, Lokführer zu werden. Aber ich bin auch realistisch und weiß, dass das nicht geht. Allerdings habe ich als Zugbegleiter alles mitgenommen, was geht: Ich bin Ausbilder, Praxistrainer und Betreuungsmanager im Notfallmanagement – trotz meiner Behinderung.
Darauf kannst du reichlich stolz sein. Danke für das Gespräch!
Wie erkennt man einen Schlaganfall, was kann man als Ersthelfer*in tun – und wie lässt sich das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, vermeiden? Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe verhindert Schlaganfälle, hilft den Betroffenen und verbessert die Schlaganfall-Versorgung.