Wie Bulgarien gegen seine korrupte Politikelite vorgeht
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Anton Emilov Chalakov
- 13. Mai 2022
Bulgarien galt lange als korruptestes Land in der Europäischen Union. Doch heute ist der osteuropäische Staat auf dem Weg der Besserung. Diese Erfolgsgeschichte wird vor allem von einer Akteurin geschrieben – der Zivilgesellschaft.
Wo einst Veruntreuung, Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft herrschten, weht heute ein Wind des Wandels. change zeigt, wie die Zivilgesellschaft in Bulgarien der korrupten Politikelite den Kampf angesagt hat.
Bulgariens langer Kampf mit der Korruption
Mitte März 2022 wurde der ehemalige bulgarische Regierungschef Bojko Borissow festgenommen. Er regierte das Land mit Unterbrechungen zwischen 2009 und 2021. Der Vorwurf: Verdacht auf Erpressung und Betrug. Borissow soll während seiner Amtszeit unter anderem EU-Gelder, öffentliche Gelder, Agrarsubventionen, Mittel zum Infrastrukturausbau und Coronahilfsgelder in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Da die Festnahme angeblich rechtswidrig durchgeführt wurde, musste Borissow allerdings nach 24 Stunden wieder freigelassen werden. Der EU prüft derzeitig die Umstände der Festnahme.
Antikorruptionsmaßnahmen der EU blieben erfolglos
Dass Borissow und sein Regierungsapparat wohl korrupt sind, steht nicht erst seit März 2022 im Raum: Bulgarien besaß schon lange den Ruf als korruptestes Land in der Europäischen Union. Es wird deshalb ähnlich wie das Nachbarland Rumänien von der Brüsseler Kommission überwacht und immer wieder dazu angehalten, sein politisches System zu reformieren. Allerdings schienen diese Appelle viele Jahre lang ungehört zu verhallen. Bis die Zivilgesellschaft genug davon hatte, dass sich die Eliten des Landes auf ihre Kosten ein schönes Leben machten: Im Sommer 2020 begannen die Menschen, auf die Straße zu gehen, gegen die Regierung zu demonstrieren und Borissow und seinen Generalstaatsanwalt Iwan Geschew zum Rücktritt aufzufordern.
80 Prozent der Agrarflächen gehören nur zwei Prozent der Bäuer:innen
Die Demonstrant:innen warfen Borissow und seinem Regierungsapparat vor, ein System der Vetternwirtschaft geschaffen zu haben, um sich gegenseitig Aufträge und Gelder zuzuspielen, die eigentlich dafür gedacht waren, die bulgarische Gesellschaft zu stabilisieren. So haben sich beispielsweise bulgarische Oligarch:innen einen Großteil der EU-Agrarsubventionen unter den Nagel gerissen: Sie kauften große Teile der Agrarflächen im Land auf und bekamen so den Hauptteil der Subventionen ausgezahlt. Bei den Landwirt:innen, für die das Geld gedacht war, kam so gut wie nichts davon an. Mittlerweile gehören 80 Prozent der Landwirtschaftsflächen in Bulgarien nur zwei Prozent der Landwirt:innen.
Unabhängige Journalist:innen werden systematisch eingeschüchtert
Bulgar:innen, die sich gegen die Machenschaften ihrer Regierung aussprachen, wurden in vielen Fällen wie Feind:innen behandelt, schikaniert und öffentlich an den Pranger gestellt. Auch die Pressefreiheit im Land leidet: Auf der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ stand Bulgarien im Jahr 2021 auf Platz 112 von 180. Das ist besonders im EU-Vergleich sehr schlecht. Der Großteil der Medienhäuser ist im Besitz von regierungsnahen Unternehmer:innen und die meisten Veröffentlichungen erfolgen in enger Absprache mit Politiker:innen. Besonders Journalist:innen, die zu den Korruptionsfällen und damit gegen die Regierung recherchieren, sind häufig Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Zum Vergleich: Im Jahr 2007, kurz bevor Borissow Regierungschef wurde, war es in Bulgarien noch viel besser um die Pressefreiheit bestellt – damals landete das Land auf Platz 51 von 180.
War die bulgarische Regierung in den Mord an Viktoria Marinova verstrickt?
Im Jahr 2018 wurde die Journalistin Viktoria Marinova, die als Moderatorin für einen der wenigen unabhängigen Sender im Land arbeitete, ermordet aufgefunden. In ihrer Talkshow hatte sie offen die grassierende Korruption angeklagt. Für das Verbrechen wurde damals ein Angehöriger der Volksgruppe der Roma verurteilt, die in Bulgarien starker Diskriminierung ausgesetzt sind. Allerdings spricht vieles dafür, dass die bulgarische Regierung selbst in den Mord an Viktoria Marinova verstrickt war.
Das Motto der neuen Regierung: Transparente Politik und keine Korruption
Die monatelangen Proteste im Sommer 2020 waren jedenfalls insofern erfolgreich, als dass sie im Land und europaweit die Aufmerksamkeit auf die korrupten Verhältnisse gerichtet haben. Aus den Protesten entstanden außerdem einige neue Parteien, die es sich zum Ziel machten, Borissow zum Abtritt zu bewegen. Das ist ihnen auch gelungen: Im Mai 2021 gab er sein Amt als Ministerpräsident auf und seit Januar 2022 ist Kiril Petkow der neue Regierungschef Bulgariens. Petkow gehört einer der Parteien an, die aus der Protestbewegung 2020 entstanden ist und sich einer transparenten Politik und dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat.
Weltweit geht der Trend in Richtung Autokratien. Das hat der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) 2022 aufgezeigt. Erstmals gibt es weltweit mehr autoritär als demokratisch regierte Staaten. Umso wichtiger ist das Beispiel Bulgariens, denn es zeigt, dass eine robuste Zivilgesellschaft gute Chancen hat, die Demokratie einzufordern.