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Suzanna ist Flüchtling aus Syrien – An diesem Tag entschied sie, zu fliehen

Das Büro der syrischen Journalistin Suzanna Alkotaish wurde durch eine Explosion zerstört. Suzanna Alkotaish

Kolumnistin Suzanna Alkotaish: Der Tag, an dem ich beschloss, Syrien zu verlassen

  • Suzanna Alkotaish
  • Suzanna Alkotaish
  • Gütersloh
  • Januar 2018

Suzanna Alkotaish ist 27 Jahre alt, stammt aus Syrien und floh 2015 vor dem Krieg nach Deutschland. Die ausgebildete Journalistin bloggt für uns über ihren Weg in ein neues Leben.

Die Ereignisse des 30. April 2013 waren einer der Gründe, die mich gezwungen haben, Syrien zu verlassen.

Zuerst war es ein Tag wie jeder andere. Ich wachte früh auf, frühstückte und machte mich auf den Weg zu meiner Arbeit im Haykal Media Unternehmen. Unterwegs hörte ich Radio. Die wichtigsten Schlagzeilen waren die Bomben, die jeden Tag auf Damaskus fielen, Explosionen, steigende Immobilienpreise und die hohen Lebenshaltungskosten.

Finanzielle Unsicherheit ist in Syrien Alltag

Ich begann meine Arbeit mit einer großen Tasse arabischen Kaffees und wartete auf die Meldungen des Aktienmarkts von Damaskus. Die Zentralbank würde, wie jeden Tag, den aufgrund des Krieges stark schwankenden Wechselkurs der syrischen Lira bestimmen und die Association of Gold and Jewelry den Preis des Goldes. Ich hatte bereits Lokalnachrichten auf aliqtisadi.com, eine der größten Wirtschaftsplattformen Syriens, online gestellt.

„Meine Kollegin flüchtete aus dem Büro.
Doch ich steckte fest, denn der Raum
hatte sich mit Rauch gefüllt.“

Suzanna Alkotaish

Um 10:30 Uhr, während ich mich darauf vorbereitete, die nächste Nachricht zu veröffentlichen, hörte ich eine massive Explosion. Plötzlich flog Fensterglas durch die Luft und Stücke der Deckenverkleidung krachten auf den Boden.

Meine Kollegin, die direkt neben mir saß, flüchtete aus dem Büro. Doch ich steckte fest, denn der Raum hatte sich mit Rauch gefüllt. Ich konnte nichts mehr sehen. Intuitiv versteckte ich mich unter dem Tisch, um Deckung zu haben. Ich hörte, wie Glas zerbrach und dass Gegenstände von der Decke fielen und auf dem Tisch aufschlugen.


Plötzlich streckte sich mir eine Hand entgegen, packte mich und holte mich aus dem Büro. Der Hausmeister brachte mich in ein sicheres Zimmer des Gebäudes und sagte: „Wasch Dir das Blut von Deinem Gesicht."

Seine Stimme war so weit weg, obwohl er direkt vor mir stand. Es war ein großer Druck in meinem Kopf. Meine Ohren waren blockiert. Ich begann zu weinen und dachte, dass ich taub geworden bin. Alles was ich tun wollte war, die Leute um mich herum zu fragen: „Was ist hier passiert?“ 

Explosionen sorgen regelmäßig für Chaos

Nach etwa zehn Minuten kam ein Rettungsteam vom Roten Halbmond. Während die Krankenschwester meine Kopfwunde versorgte und die winzigen Glasstückchen aus dem Inneren meiner Ohren zog, sagte sie mir, dass eine Autobombe vor dem alten Gebäude des syrischen Innenministeriums explodiert ist, das direkt neben unserem Gebäude lag.

Suzanna Alkotaish

Kolumnistin Suzanna Alkotaish: Wie ich als Kind von Europa träumte

Ich schaute aus dem Fenster: Die Straße war eine komplett andere als die, durch die ich am selben Morgen noch gegangen war. Feuerwehrleute löschten das Feuer, überall waren Polizisten, Krankenwagen transportierten Verletzte und Tote. Die umliegenden Gebäude waren beschädigt und Glas bedeckte den ganzen Platz.

„Das Gefühl von Sicherheit, wie man es hier in Deutschland kennt, schätzt man erst, wenn es verloren geht.“

Suzanna Alkotaish

Wir durften das Gebäude nicht sofort verlassen, wir blieben dort fast vier Stunden. Die ganze Zeit saß ich auf einer Treppenkante und beobachtete das Chaos um mich herum. Obwohl ich traumatisiert und verletzt war, war mein journalistisches Interesse stärker und ich machte Fotos, um den Vorfall zu dokumentieren.

Liebe Leserinnen und Leser, an diesem Tag Ende April 2013 saß ich an meinem Büro und arbeitete an meinen täglichen Aufgaben, genauso wie Sie es jetzt vielleicht gerade tun. Doch meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass jeder Bürger alles dafür tun sollte, um die Sicherheit seines Landes zu bewahren. Denn das Gefühl von Sicherheit, wie man es hier in Deutschland kennt, ist etwas, das niemand richtig schätzen kann, bis es verloren geht.