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Eine junge Frau sitzt in einem Café LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com

Junge Menschen und Glaube: Eine Generation auf der Sinnsuche

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  • 10. Mai 2023

Wie passen Religion und die Kirche noch in unsere moderne Gesellschaft? Woran glauben die jungen Menschen in Deutschland? Das Verhältnis von Jugendlichen und Religion hat sich in den letzten Jahren stark verändert. change taucht ein in die persönlichen Gedanken und Erfahrungen von jungen Leuten und wirft einen Blick auf ihren Umgang mit Glauben, Religion und der Kirche.

Jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland denkt über einen Austritt nach – Tendenz steigend. Vor allem bei jungen Menschen nimmt dieser Trend zu. Immer mehr von ihnen sind nicht mehr formal religiös organisiert und gehören keiner bestimmten Religionsgemeinschaft an. Das heißt aber nicht, dass sie ihren Glauben ganz aufgegeben haben. Wie steht es um die Religion und Weltanschauung junger Menschen in Deutschland?
 


Status quo: Gesellschaft und Religion im Wandel

Seit einigen Jahren zeichnet sich ein auffälliger Trend ab: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Vor allem junge Menschen scheinen sich von der Institution Kirche abzuwenden und ihren Glauben auf andere Weise zu praktizieren oder auszudrücken. Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zeigt: Jede:r Vierte in Deutschland glaubt nicht an Gott. Je jünger die Kirchenmitglieder, desto höher die Zahl der Austritte. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und komplex. Klar ist aber: Die christlichen Kirchen repräsentieren längst nicht mehr die Mehrheit unserer Gesellschaft.

Religiöse Vielfalt in Deutschland: Mehr als nur Christentum

In Deutschland sind über 50 Prozent der Menschen Christen - von freikirchlich bis christlich-orthodox. Aber vor allem die Jugendlichen in Deutschland werden in Bezug auf die religiöse und weltanschauliche Vielfalt immer bunter. Es gibt nicht nur immer mehr Menschen ohne Konfession, sondern auch eine wachsende Anzahl an Anhänger:innen nicht christlicher Religionsgemeinschaften, wie des Islams, des Judentums, des Hinduismus oder Buddhismus, aber auch vieler weiterer kleinerer Religionsgemeinschaften. Es wird geschätzt, dass es in Deutschland mehrere Hundert Religionsgemeinschaften gibt. Dennoch sind nicht christliche Jugendliche wie auch Muslime als Teil einer größeren und wachsenden Glaubensgemeinschaft in Jugendstudien oft unterrepräsentiert.

Porträt von Nico

„Es gibt viele Gründe, warum ich nicht an Gott glauben kann. Neben der fehlenden Beweisbarkeit tauchen für mich viele Widersprüche auf, wenn ich an Gott denke. Für mich passt es nicht zusammen, dass ein allmächtiger und gütiger Gott Naturkatastrophen, Krankheiten und menschliche Ungerechtigkeit zulässt. Persönlich waren es vor allem Schicksalsschläge in meiner Kindheit, die dazu geführt haben, dass ich nicht an die Existenz eines Gottes glauben kann, der so etwas zulässt.“

– Nico, 22, nicht religiös, Dresden


Moral- und Wertvorstellungen: Kritik an institutionalisierten Kirchen wächst

Wie modern sind die Werte der Kirche? Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben in den letzten Jahren viele negative Schlagzeilen gemacht. Zahlreiche Missbrauchsskandale sorgten für Vertrauensverlust. Auch die teils sehr zögerliche Aufarbeitung konnte die Enttäuschung in weiten Teilen der Gesellschaft nicht wettmachen. Hinzu kommt, dass die konservative Haltung der beiden großen christlichen Kirchen den veränderten Moral- und Wertvorstellungen der jüngeren Generation oft nicht mehr entspricht: Viele stören sich an den starren Hierarchien und haben das Gefühl, dass die Kirche nicht mit der Zeit geht und sich Themen wie Homosexualität, Frauenrechten und Abtreibung zu wenig öffnet. Ein weiterer Punkt, der häufig kritisiert wird, ist die Finanzierung der Kirchen durch die Kirchensteuer.

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Einige Kirchen nehmen die Kritik wahr und versuchen, sich den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, ihre Haltung zu modernisieren und inklusiver zu gestalten. So ist es in einigen Kirchen homosexuellen Paaren inzwischen möglich, sich trauen zu lassen. Auch beim Thema Frauenrechte bemühen sich einzelne Kirchenmitglieder und Gemeinschaften um eine Annäherung. So haben sich beispielsweise 150 Katholikinnen zusammengeschlossen und ein Buch geschrieben, um sich dafür einzusetzen, dass in Zukunft auch Frauen Priesterinnen werden können. Vor allem aber zeigt dieser Kampf um Gleichberechtigung, dass es in der Kirche Nachholbedarf gibt, was die Themen unserer modernen Gesellschaft angeht.

Porträt von Lukas

„Ich glaube nicht an die von den Religionen erschaffene Vorstellung eines Gottes oder mehrerer Götter. Dies sind meiner Meinung nach von Menschen erfundene Konzepte beziehungsweise Ideen, die sich nicht beweisen lassen und leicht missbraucht werden können. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass alles Leben miteinander verbunden ist und zusammengehört, sodass jeder Mensch und jeder Einzeller Teil eines großen Ganzen sind. Ob man das dann als göttlich beschreibt, ist jedem selbst überlassen.“

– Lukas, 24, nicht religiös, Erlangen


Jugend ohne Kirche: Von der Institution zum individuellen Glauben

Auch wenn sich immer mehr junge Menschen von der traditionellen Kirche abwenden, bedeutet dies nicht automatisch, dass sich eine ganze Generation in einer Glaubenskrise befindet. Zweifel, Vertrauensverlust, aber auch veränderte Moral- und Wertvorstellungen haben zu einem veränderten Stellenwert der Kirche in unserer modernen Gesellschaft geführt. Ein damit oft verbundener Irrglaube ist, dass damit auch der Glaube der Jugendlichen verschwindet. Viele Kirchenmitglieder, die mit dem Gedanken spielen, aus der Kirche auszutreten, wollen damit nicht ihre Religion aufgeben. Negative Erfahrungen und Vertrauensverluste beziehen sich meist auf die Kirche als Institution, nicht auf die inneren Überzeugungen der eigenen Religion. Vielmehr suchen viele junge Menschen nach alternativen Ausdrucks- und Praxisformen ihres Glaubens. Die Gründe dafür sind vielfältig. Unter anderem gibt es positive Aspekte und Auswirkungen von Glauben und Religion, die sie nicht missen möchten. Aber auch eine tiefe Verbundenheit durch Erfahrungen und Erlebnisse in der Kindheit kann dazu führen, dass Jugendliche am Glauben festhalten.

Porträt von Sarah

„Meiner Meinung nach muss man zwischen der Kritik an der Kirche und dem Glauben unterscheiden. Die Institution Kirche ist für mich teilweise überholt und auch ich stehe nicht hinter allen Werten, die dort vertreten werden. Der Glaube hingegen ist für mich etwas sehr Persönliches. Hier geht es um Erziehung, Prägung, Gemeinschaft und Werte, die für jed:en sehr individuell sein können. Da muss jede:r ihre beziehungsweise seine eigene Wahrheit finden.“

– Sarah, 21, katholisch, Jena


Positive Aspekte von Glauben und Kirche: Warum sind junge Menschen noch religiös? 

Doch obwohl sich viele junge Menschen mittlerweile nicht mehr als religiös begreifen, spielt der Glaube für andere weiterhin eine wichtige Rolle. Das hat vielfältige Gründe: Krieg, Klimawandel und Pandemien machen Jugendlichen große Sorgen. In solchen Zeiten kann die Gemeinschaft in der Kirche und der Glaube an einen Gott Hoffnung geben. Die Kirche bietet die Möglichkeit, mit anderen Menschen zusammenzukommen, die ähnliche Werte und Überzeugungen teilen. Das Gefühl der Zugehörigkeit, Sicherheit und Teilhabe hält viele Menschen in der Kirche. Dies kann besonders wichtig sein, wenn junge Menschen sich einsam oder isoliert fühlen. Zusätzlich können Werte wie Nächstenliebe, Mitgefühl und Vergebung die persönliche Entwicklung und Identität von jungen Menschen prägen.

Porträt von Elisabeth

„Ich bin von klein auf katholisch erzogen worden, da meine Eltern beide an Gott glauben und ich so in diesen Glauben hineingewachsen bin. Aber auch heute glaube ich noch an Gott, weil er mir in schwierigen Situationen Kraft und Mut gibt. Wenn es Momente oder Situationen gibt, in denen ich zum Beispiel nicht mehr weiterweiß, überfordert bin oder Prüfungsstress habe, dann bete ich zu Gott und vertraue darauf, dass er bei mir ist und mich unterstützt, egal was passiert. Das gibt mir Kraft und Mut, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen.“

– Elisabeth, 21, katholisch, Berlin

   

Mehr dazu im Podcast „Zukunft gestalten“

Die Coronapandemie, der Krieg in der Ukraine und die wachsende Inflation beunruhigen viele Menschen. Welche Bedeutung hat Religion in diesen Zeiten?

In dem Podcast „Zukunft gestalten“ der Bertelsmann Stiftung sprechen Dr. Malva Sucker und Jochen Arntz mit der Religionsexpertin Yasemin El-Menouar über das Thema „Religion matters? – Religion in Krisenzeiten“.


Spiritualität & Co.: Alternative Glaubensformen und moderne Sinnsuche

Auch alternative Glaubensrichtungen und Spiritualität haben in den letzten Jahren besonders bei der jüngeren Generation einen Boom erfahren. Gerade in Krisenzeiten bieten Glaube und spirituelle Rituale Halt, regelmäßiges Meditieren kann dabei genauso helfen wie der Besuch eines Gottesdienstes. Viele Jugendliche fühlen sich von der Kirche und den traditionellen Formen der Religion nicht mehr angesprochen. Aber auch nicht religiöse Jugendliche stellen sich den großen Fragen der Menschheit und begeben sich auf Sinnsuche. Wo jede:r Einzelne Antworten findet, kann sehr unterschiedlich sein: Zwischen Astrologie, Ayahuasca-Zeremonien und Ayurveda gibt es viele Ansätze in der modernen Glaubensfrage. Ähnlich wie beim theologischen Glauben geht es auch hier im Kern darum, die eigene Identität zu finden und nach einem Hoffnungsträger und einer Stütze in schwierigen Zeiten zu suchen.

Porträt von Sarah

„Ich glaube nicht an einen Gott im Sinne des Christentums, weil ich das Konzept nicht einleuchtend finde, dass es einen allmächtigen männlichen Gott geben soll, der über alles bestimmt. Das fühlt sich für mich einfach nicht richtig an. Vor allem die christliche Religion, mit der ich in meinem Leben bisher die meisten Berührungspunkte hatte, widerspricht in einigen Dingen meinen grundlegenden moralischen Überzeugungen. Ich finde andere Religionen und deren Überzeugungen interessanter. Beispielsweise Religionen, in denen es verschiedene Göttinnen und Götter gibt, die alle ihre eigenen Stärken und Schwächen haben.“

– Jana, 27, nicht religiös, Nürnberg


Interreligiöser Dialog: Toleranz zwischen den Religionen

Auch wenn die Bedeutung von Glauben und Religion im Alltag vieler Jugendlicher abgenommen hat, haben sie keine Angst vor interkulturellem Austausch, und sie stehen religiösen Überzeugungen sehr offen gegenüber: Ein Großteil der Jugendlichen ist davon überzeugt, dass jeder Mensch das Recht hat, seinen Glauben frei auszuüben, und dass verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander existieren können. Dies hängt auch mit der religiösen Pluralisierung unserer Gesellschaft zusammen: Die junge Generation ist in einem deutlich vielfältigeren Umfeld aufgewachsen als die Generationen vor ihnen, hat unter Umständen Praktika im Ausland absolviert oder sogar eine Zeit lang mit Menschen aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen zusammengelebt.

Im Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung werden regelmäßig zentrale Herausforderungen in der modernen Gesellschaft durch die wachsende religiöse Vielfalt untersucht. Deshalb interessiert uns auch, woran du glaubst! Wenn du das gerne mit uns teilen möchtest, dann schreib uns eine Nachricht an . Wir werden in einem weiteren Artikel auf das Feedback und andere Aspekte rund um das Thema religiöse Vielfalt eingehen.