Robert Vehrkamp erklärt, wieso eine niedrige Wahlbeteiligung unserer Demokratie schadet
-
Kai Uwe Oesterhelweg
- August 2017
In den letzten Jahrzehnten ist es in deutschen Wahllokalen immer stiller geworden. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 gingen nur noch knapp über 70 Prozent aller Wahlberechtigten an die Urne. In den Siebzigern waren es über 90 Prozent. Seither ist die Wahlbeteiligung fast kontinuierlich gesunken. Wir haben mit unserem Demokratie-Experten Robert Vehrkamp über Ursachen und Auswirkungen des Trends gesprochen.
change | Herr Vehrkamp, was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für die niedrige Wahlbeteiligung?
Robert Vehrkamp | Eine der Hauptursachen ist die soziale Spaltung. Die Wahlbeteiligung ist ja vor allem deshalb gesunken, weil viele Menschen aus den sozial schwachen Milieus nicht mehr an Wahlen teilnehmen. Je geringer das Einkommen und der formale Bildungsabschluss sind, umso geringer ist die Wahlbeteiligung. Daran ändert bislang auch die aktuell leicht gestiegene Wahlbeteiligung nichts. Im Gegenteil: Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai hat sich die soziale Spaltung sogar leicht verschärft. Denn vor allem die sozial stärkeren Milieus haben sich vermehrt beteiligt.
Welche Folgen hat es für unsere Demokratie, wenn sich gerade sozial benachteiligte Menschen immer weniger an Wahlen beteiligen?
Die Folge ist politische Ungleichheit! Die sozial schwächeren Milieus bleiben in den Wahlergebnissen deutlich unterrepräsentiert. Das führt zwar noch nicht zwangsläufig zu einer sozial ungleichen Politik. Schließlich vertreten die gewählten Politiker die Interessen aller Menschen in Deutschland. Aber die soziale Schieflage unserer Wahlergebnisse ist gefährlich. Denn gleichzeitig vertreten die Volksvertreter natürlich die Interessen ihrer Wähler.
Daraus kann schnell ein Teufelskreis werden: Wer vertritt in der Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik die Interessen der sozial benachteiligten Nichtwählermilieus? Und wenn diese sich durch die etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen, wählen sie entweder gar nicht mehr, oder stimmen für populistische Protestparteien.
Sie haben zur Steigerung der Wahlbeteiligung einen 8-Punkte-Plan entworfen. Welche Reaktionen gibt es dazu aus Politik und Gesellschaft?
Inzwischen wird das sehr positiv aufgenommen! Das öffentliche Meinungsklima zum Thema Wahlbeteiligung hat sich in den letzten Jahren stark verändert, was ein wesentliches Ziel auch unserer Arbeit war. Das Thema wird inzwischen ernst und als Problem für die Demokratie wahrgenommen. Das war vor der Bundestagswahl 2013 noch ganz anders, als prominente Intellektuelle sogar öffentlich zur Nichtwahl aufgerufen haben. Dieselben Intellektuellen organisieren inzwischen Kampagnen und Initiativen zur Steigerung der Wahlbeteiligung.
Die Diagnose der sozial gespaltenen Demokratie ist heute allgemein akzeptiert und wird als gesamtgesellschaftliche Herausforderung wahrgenommen. Die Suche nach Lösungen hat begonnen. Das erhöht auch das Interesse und die Akzeptanz unserer ersten Vorschläge dazu. Die Bürgerschaft in Bremen ist dabei ein Vorreiter und hat einen eigenen Parlamentsausschuss dazu eingerichtet, der an konkreten Maßnahmen arbeitet. Da ist also viel in Bewegung. Aber von einer Lösung des Problems sind wir noch weit entfernt.